Wirbel in einer Wasserflasche. (Credit: Robert D Anderson, via Wikimedia Commons) |
Ich möchte heute ein Beispiel dafür geben, wie die physikalischen Gesetze sowohl auf kleine als auch auf große Phänomene anwendbar sind: Wir werden das Wasser im Abfluss unserer Dusche betrachten und versuchen, Parallelen zu physikalischen Vorgängen auf viel größeren Skalen herzustellen, wobei wir sehen werden, dass unsere Beobachtungen schließlich überhaupt nichts mit dunkler Materie zu tun haben, wir daraus aber dennoch eine Menge lernen können.
Bereits verwirrt? - Dann lasst uns das ganze nochmal Schritt für Schritt durchgehen!
Immer wieder hört man, dass Wasser, das in einen Abfluss läuft, sich auf der Nordhalbkugel in die eine und auf der Südhalbkugel in die andere Richtung dreht. Nun, ich nehm es gleich vorweg - das stimmt so nicht. "Na ja, wenn das nicht richtig ist, warum überhaupt kommt einer dann auf die Idee, sowas zu behaupten?" - Um dafür eine Rechtfertigung zu finden, befördern wir uns gedanklich z.B. an den Nordpol.
Sitzen wir dort direkt auf der Rotationsachse der Erde, dann drehen wir uns einmal am Tag um uns selbst. Das Wasser in unserer imaginären, arktischen Duschkabine bewegt sich natürlich mit uns, also ebenfalls in 24 Stunden "einmal um sich selbst".
Sobald wir den Stöpsel ziehen, beginnt es sich in Richtung des Abflusslochs zu bewegen. Dabei wird der Radius der ursprünglichen Kreisbahn kleiner - und ganz analog zu Eiskunstläufern, die ihre Arme zum Körper ziehen, müsste das Wasser nun eine schnellere gleichsinnige Rotationsbewegung ausführen. Die Drehimpulserhaltung schreibt's vor und deshalb der "Mythos", dass sich Wasser auf der Nordhalbkugel "links herum" (gegen den Uhrzeigersinn, von oben gesehen) und auf der Südhalbkugel "rechts herum" (im Uhrzeigersinn) in den Abfluss dreht.
Nun ist aber die Erddrehung nicht soo schnell (lediglich eine Umdrehung in 24 Stunden); andere Effekte (vor allem die Anfangsbedingungen zum Zeitpunkt des Stöpsel-Ziehens) sind weitaus größer und dominieren über den durch die Erdrotation hervorgerufenen Drehimpulserhaltungseffekt. Deshalb dreht sich Wasser einmal so und einmal anders - welche Drehrichtung stattfindet, entscheidet der Zufall.
Gibt es auch Situationen, in denen die Drehimpulserhaltung die vorherrschende Triebkraft einer Rotationsbewegung ist und andere Effekte vergleichsweise klein sind? - Erstaunlicherweise ja, und wir beobachten sie jeden Tag!
Stellt euch vor, man zieht einen großen Stöpsel im Pazifik, sodass das Ozeanwasser dorthinein abfließt. Große Wassermassen auf großen Bahnradien ändern dabei ihre radiale Bewegungskomponente. Tatsächlich können wir erwarten, dass die "Nordhalbkugel-links"- und "Südhalbkugel-rechts"-Abflussgesetze in Erscheinung treten, weil all die kleinen, lokalen Verwirbelungseffekte im Vergleich vernachlässigbar klein sind.
Diese Formation befindet sich über Island, also auf der Nordhalbkugel. Handelt es sich hierbei wahrscheinlicher um ein Tiefdruck- oder um ein Hochdruckgebiet? (Credit: NASA, via Wikimedia Commons) |
Ein Stöpsel im Ozean ist zugegebenermaßen wohl ein weit hergeholtes Beispiel, aber man kann diese Überlegungen Eins-zu-Eins auf Luft bzw. die Atmosphäre übertragen:
Ein Tiefdruckgebiet ist, wie der Name schon sagt, ein Bereich, in dem der Luftdruck niedriger ist als in der lokalen Umgebung. Umliegende Luftmassen strömen dann dem Druckgefälle folgend in dieses Gebiet. Und genau an diesem Punkt wissen wir bereits, was passieren wird, stimmt's? - Rotierende Luft, die sich von großen auf kleinere Radien bewegt, beginnt sich schneller zu drehen. Das ist der Grund, warum sich Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel meist (3) gegen den Uhrzeigersinn und auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn drehen. Im Fall von Hochdruckgebieten will die Luft aus dem Gebiet des hohen Drucks hinausströmen und gelangt dadurch auf größere Radien. Die resultierende Verlangsamung der Drehbewegung führt auf der Nordhalbkugel zu einer relativen Bewegung im Uhrzeigersinn und auf der Südhalbkugel zu einer gegen den Uhrzeigersinn. Drehimpulserhaltung at its best.
Auf noch größeren Skalen finden wir diesen Effekt erneut: Auch die Planeten bewegen sich schneller, wenn sie näher an der Sonne sind und somit einen kleineren Radius auf ihrer (elliptischen) Bahn haben (4).
"Zoomen" wir noch weiter hinaus - bis wir unsere gesamte Galaxie, die Milchstraße, vor unserem geistigen Auge haben. Wir erwarten, dass sich diejenigen Sterne, die näher am zentralen schwarzen Loch sind, schneller drehen drehen als äußere - genauso wie unser Abflusswasser. Erschütternderweise jedoch ergeben allgemeine Beobachtungen von Galaxien, dass das Geschwindigkeitsprofil von Sternen nicht wie erwartet mit zunehmender Entfernung vom Zentrum abnimmt, sondern dass es eher konstant bleibt. In anderen Worten: Sterne auf größeren Bahnen bewegen sich fast genauso schnell wie Sterne, die sich weiter innen in der Galaxie befinden. (Videodemonstration gefällig?)
Was um alles in der Milchstraße ist hier los?!
So wie immer, wenn man die wissenschaftliche Methode zur Erkenntnisgewinnung anwendet, haben wir aus bestätigten Beobachtungen logische Vorhersagen gemacht, die wir einer experimentellen Überprüfung aussetzen können. "Wenn unsere Gesetze gültig sind, müssen Galaxien in der Nähe ihres Zentrums viel schneller rotieren als weiter außen." Und wie so oft, wenn diese Vorhersagen dann durch Beobachtungen widerlegt werden, muss man sich zurückerinnern und die Grundannahmen der eigenen Argumentation in Zweifel stellen (denn der Gedankengang zwischen Anfangspunkt und Vorhersage war logisch begründet und ist in der Regel nicht anzuzweifeln).
Eine vielversprechende Theorie, die diesen Widerspruch zwischen Vorhersage und Beobachtung aufzulösen versucht, ist die der dunklen Materie. Dabei sagt man ganz grob, dass die bisher aufgestellten Gesetze zwar stimmen, wir jedoch nicht die ganze Wahrheit in Betrachtung gezogen haben. Modernen Theorien zufolge gibt es also mehr Materie als wir sehen können. Diese hat Eigenschaften, die sich grundlegend von denen unserer bekannten Materie unterscheiden und welche z.B. dazu führen, dass sie sich anders als die sichtbare Materie um und in Galaxien verteilt. Das Konzept der für uns nicht direkt sichtbaren, also der "dunklen", Materie kann die beobachteten Rotationsanomalien der Galaxien erklären.
Vermutete Verteilung von dunkler Materie (blau) um unsere Heimatgalaxie (künstlerische Darstellung). (Quelle: European Southern Observatory, Presseaussendung, via Wikimedia Commons) |
Doch noch ist die Theorie der dunklen Materie nichts anderes als eine Hypothese, deren Vorhersagen einer Überprüfung bedürfen. Für den Fall, dass man Abweichungen von den Postulaten findet, muss man wohl oder über wieder zum Ausgangspunkt der Argumentation zurückkehren und die Grundlagen des Modells modifizieren - oder sogar gleich die gesamte Theorie wegwerfen, falls erforderlich.
So ist das nun einmal mit der Anwendung der wissenschaftlichen Methode - sie ist unter Umständen hart und unbarmherzig, dafür aber rückt man auf diesem Wege der Wahrheit auf relativ zuverlässige und rasche Weise näher.
Wenn ihr also das nächste Mal duschen geht, denkt vielleicht daran, dass von Klein bis Groß alles im Universum durch die Gesetze der Natur verbunden ist und man sogar von scheinbar banalen, alltäglichen Dingen eine Menge über unsere Welt lernen kann.
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(1) Zumindest nimmt man dies durchaus sinnvoll an. Physiker sprechen hierbei von einer räumlichen Translationssymmetrie.
(2) Dies nennt man auch zeitliche Translationssymmetrie.
(3) Sicher, es gibt viele Effekte, welche die tatsächliche Luftbewegung beeinflussen, und es treten natürlich aus diesem Grund zahlreiche Abweichungen von meinen einfachen Aussagen auf.
(4) Dies wird übrigens durch das zweite Keplersche Gesetz ("Flächensatz") beschrieben: In gleichen Zeiten überstreicht der Fahrstrahl Objekt-Schwerezentrum gleiche Flächen (Wortlaut von Wikipedia).
Sehr interessant, witzig und fast einfach zu verstehen ;)
AntwortenLöschenDas freut mich zu hören! ;-)
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