Dienstag, 1. Januar 2013

Antiteilchen bewegen sich rückwärts in der Zeit?!



Anmerkung: Dieser Artikel wurde von meinem alten Blog übernommen. Er wurde ursprünglich am 23.09.11 veröffentlicht.


Seit wenigen Tagen sind Neutrinos plötzlich ins Rampenlicht der (wissenschaftsbetonten) Medien gerückt. Neutrinos, die im Forschungszentrum CERN in der Schweiz im Teilchenbeschleuniger produziert werden, werden kurze Zeit später in Italien (in der Nähe von Rom) gemessen und analysiert. Das ist eine heikle Angelegenheit, weil Neutrinos kaum mit Materie wechselwirken, also auch nicht mit Messgeräten. Große Aufregung bezüglich der Messergebnisse gibt es deshalb, weil die Neutrinos auf ihrer sehr kurzen Reise womöglich schneller als das Licht unterwegs waren. Wäre das tatsächlich der Fall, würde das gegen Einsteins Relativitätstheorie sprechen, nach der sich nichts - nämlich wirklich gar nichts - schneller als Licht ausbreiten kann. Weder Teilchen, noch Energie, noch Gravitation, noch Information, ... Man geht allerdings vorerst von Messungenauigkeiten aus und glaubt, Einsteins Relativitätstheorie nicht widerlegt zu haben.
Im folgenden Artikel werde ich allerdings nicht die Ergebnisse dieser verblüffenden Messungen diskutieren, sondern mich auf ein etwas anderes Phänomen konzentrieren. Es wird um einen Teilaspekt der sog.Quantenelektrodynamik (QED) gehen, welche von den berühmten Physikern Richard P. FeynmanJulian Schwinger und Shinichirō Tomonaga in den 1940er-Jahren formuliert wurde. Dieser sehr erfolgreichen Theorie zufolge, kann man Antiteilchen als Teilchen interpretieren, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Welche Auswirkung dieses Tempo auf die Bewegung der Teilchen in der Zeit hat, werden wir bald sehen.

Vielleicht ist der Begriff des "Feynman-Diagramms" bereits bekannt. Er bezeichnet eine bestimmte Art Diagramm, welches die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie übersichtlich darstellt.
Ein solches Feynman-Diagramm könnte folgendermaßen aussehen:
Feynman-Diagramm

Die horizontale Achse stellt den Raum s dar, während auf die vertikale Achse die Zeit t aufgetragen ist.
Die durchgehenden Linien stehen immer für den Weg von Elektronen durch Raum und Zeit - die gewellten Linien stellen Photonen dar. Durchgehende Linie also grob gesagt Materie, gewellte Linie Licht oder Energie.

Das oben abgebildete Diagramm sagt also folgendes aus:
Man beginnt "unten" zu lesen, denn "unten" stellt frühere Zeitpunkte dar. Je weiter nach oben wir sehen, desto mehr Zeit ist vergangen. Wir haben also zu unserem "ersten" Zeitpunkt zwei Elektronen, die sich mit voranschreitender Zeit einander nähern. Sie rücken im Diagramm näher zusammen, je weiter man "hinaufgeht". Elektronen können spontan Photonen aussenden und auch auffangen. Das ist ein quantenmechanischer Effekt, den wir hier einfach mal akzeptieren. Zu einem gewissen Zeitpunkt tauschen die Elektronen ein Photon aus und durch die übertragene Energie (Photonen haben Energie) stoßen sie einander ab. Dieser Erklärung ist natürlich sehr oberflächlich, doch für unsere Zwecke ausreichend.

Feynman-Diagramme können ganz unterschiedlich aussehen. Die Theorie besagt außerdem, dass bei einem physikalischen Vorgang, wie z.B. bei dem oben dargestellten, alle möglichen Feynman-Diagramme gleichzeitig gültig sind. D.h., dass alle Möglichkeiten, die es für Elektronen gibt, Photonen auszutauschen, tatsächlich in der Natur realisiert werden. Alle Geschichten, die zu einem Ereignis führten, sind wahr und tragen ihren Teil zur gesamten Geschichte/zum gesamten Ereignis bei. Doch das nur am Rande.
Hier sind ein paar weitere mögliche Feynman-Diagramme (wiegesagt, möglich sind alle):


Einige wenige Feynman-Diagramme
  
Nun gibt es allerings auch die Möglichkeit, dass die "Linie" eines Photons im Raum-Zeit-Diagramm nicht waagrecht verläuft, wie es in den bisherigen Diagrammen der Fall ist. Ein Elektron kann z.B. ein Photon emittieren, welches etwas später von einem anderen Elektron absorbiert wird. Das sieht dann in etwa so aus:
Das linke Elektron sendet also ein Photon aus, welches zu einem späteren Zeitpunkt (also weiter "oben" im Diagramm) vom rechten Elektron wieder absorbiert wird.

Das gleiche kann man über das folgende Diagramm sagen, nur dass die Rollen der beiden Elektronen vertauscht sind - das rechte Elektron emittiert das Photon, bevor es das linke später absorbiert:



Im folgenden Diagramm emittiert ein Elektron ein Photon und absorbiert wenig später eines:

Das nächste Diagramm ist eine kleine Abwandlung des gerade eben abgebildeten - aber auf einmal wird's interessant:
Das Diagramm kann man folgendermaßen lesen:
Ein Elektron bewegt sich durch die Raumzeit und emittiert spontan ein Photon. Danach bewegt es sich auf normale Weise durch den Raum weiter, jedoch bewegt es sich rückwärts in der Zeit (indem es sich im Diagramm "nach unten" bewegt). Zu einem anderen (früheren) Zeitpunkt absorbiert es ein (anderes) Photon und bewegt sich anschließend wieder vorwärts in der Zeit weiter.

Schön und gut. Doch wie nehmen wir ein solches Phänomen wahr, die wir uns ja nach unserem Empfinden nur in einer Zeitrichtung bewegen - und zwar vorwärts in der Zeit?
Wir würden einen solchen Vorgang also so erleben, als ob wir das Diagramm "von unten nach oben" lesen würden. Es bewegen sich also ein Elektron und ein Photon aufeinander zu. Plötzlich zerfällt das Photon in zwei Teilchen. Ein Teilchen des entstandenen Teilchenpaares scheint vom Elektron angezogen zu werden, denn das Elektron und das neue Teilchen bewegen sich aufeinander zu und verbinden sich sogar. Nach diesem Verbinden existieren die Teilchen nicht mehr weiter, dafür erzeugen sie ein Photon.

Ist das nicht ein etwas exotischer Vorgang ohne wirklichen Bezug zur Realität? Keineswegs. Genau dieser Vorgang passiert in der Natur ständig. Die Quantenmechanik sagt uns, dass selbst Raum, der nach klassischer Auffassung "leer" ist - also z.B. Vakuum -, in Wahrheit mit Energie gefüllt ist.Diese Energie lässt spontan und völlig zufällig immer wieder Teilchen entstehen - stets ein Teilchen und ein Antiteilchen. Denn ein Antiteilchen kann man auch als Teilchen sehen, dass sich in der Zeit rückwärts bewegt. Wie wir gesehen haben, wird das Teilchen, welches wir voher als das neu entstandene Teilchen bezeichnet haben (jetzt wissen wir, dass es ein Antiteilchen ist) vom Elektron angezogen. Es muss also die gegenteilige Ladung eines Elektrons haben. Genau diese Eigenschaft weisen Antiteilchen auf - sie gleichen den entsprechenden Teilchen in allen Eigenschaften bis auf die Ladung, welche den entsprechenden negativen Wert aufweist. Antiteilchen gibt es von jedem Teilchen mit Ladung, immerhin können sich ja alle Teilchen rückwärts durch die Zeit bewegen, was laut der Relativitätstheorie von Einstein einer Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit entspricht. (Das "Anti-Elektron" heißt z.B. Positron, das Antiteilchen des Protons heißt Antiproton, es gibt Antquarks und Antineutrinos, ...)
Die spontan durch Quanteneffekte erzeugten Teilchen-Antiteilchen-Paare verbinden sich kürzeste Zeit später wieder miteinander und ihre Masse wird in die Energiemenge "zerstrahlt", die zuvor für ihre Bildung aufgebracht wurde.

Das Standardmodell der Teilchenphysik erklärt den besprochenen Vorgang also mit der Bildung eines Teilchen-Antiteilchen-Paars und der anschließenden Zerstrahlung des Paares in reine Energie, während die Quantenelektrodynamik den selben Vorgang mit Teilchen erklärt, die sich rückwärts in der Zeit bewegen.

So gibt die QED auf zahlreiche verschiedene Weisen etwas ungewöhnliche, aber durchaus effektive Erklärungen der Natur. Es lassen sich z.B. alle optischen Effekte durch die QED erklären. Es treten höchst interessante Phänomene auf. Beispielsweise ergibt sich aus der Theorie, dass ein Teilchen (z.B. ein Photon) auf dem Weg von A nach B alle möglichen Wege nimmt und somit alle möglichen Geschichten hat. Der Grund, warum wir solche Effekte in unserer makroskopischen Welt nicht erleben ist, dass sich in den Bereichen unserer Größenordnungen fast alle Geschichten gegenseitig ausschließen, sodass quasi ein bestimmter Weg insgesamt übrig bleibt. Dieser Weg entspricht dem klassischen Weg, also dem uns vertrauten. Ein Ball fliegt z.B. nur deshalb auf der Bahn, die wir kennen, weil sich alle anderen möglichen Wege (z.B. der Weg, der einmal um die Milchstraße führt, bevor er am Aufschlagort des Balles ankommt) gegenseitig aufheben.



Interessierten empfehle ich Richard Feynmans populärwissenschaftliches Buch namens "QED - Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie". Darin werden sämtliche Phänomene der Theorie anschaulich und wirklich verständlich erklärt und die Erfolgsgeschichte der Theorie erzählt. Ich war bei der Lektüre fasziniert von dieser außergewöhnlichen Theorie.

Es gibt allerdings auch Videos von Vorlesungen Feynmans, in denen er die Quantenelektrodynamik fast genau so gut erklärt wie im Buch. Die Videos findet man hier.




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