Samstag, 14. September 2013

Entwicklung der Quantenphysik XI: Worum ging es nun eigentlich? - Ein Resümee

Puh... es war ein langer Weg bis hierher!

Angefangen hat alles mit dem Problem der Ultraviolett-Katastrophe der Hohlraumstrahlung und Planck's Quantenhypothese. Licht war plötzlich nicht mehr eine Welle, sondern bekam einen Teilchencharakter. Dann ging es richtig los, als Louis de Broglie vorschlug, auch "Teilchen" (wie z. B. Elektronen) durch Materiewellen zu beschreiben. Die Folgen waren weitreichend: Man entdeckte, dass sich die Welt auf fundamentaler Ebene nur mehr durch Wahrscheinlichkeiten ausdrücken lässt. Außerdem gibt es prinzipielle Grenzen in der Bestimmbarkeit gemäß der Heisenberg'schen Unbestimmtheitsrelation. Das klassisch-deterministische Universum von Newton und seinen Zeitgenossen, das bereits durch Einsteins Relativitätstheorie in seinen Grundfesten erschüttert wurde, entpuppte sich als eine zu oberflächliche Naturbeschreibung. Auch in der Atomvorstellung gab es revolutionäre Erkenntnisse - so sind die Elektronenbahnen um den Atomkern in Bohrs Atommodell gequantelt, sodass es für die Elektronen "verbotene" Bereiche gibt, in denen sie sich nicht aufhalten können. Der Doppelspaltversuch mit all seinen Variationen zeigt wohl am deutlichsten, welche Kuriositäten in der mikroskopischen Quantenwelt herrschen: Man kann ihn in Begriffen der klassischen Physik (also unserer "Hausverstandsphysik") nicht erklären.
(Credit: Zach Weiner, SMBC)
Über viele Jahre haben wir mehrere Interpretationen dieser für uns so absonderlich wirkenden Quantenmechanik erarbeitet, die sich bislang als konsistent mit der Natur erwiesen haben. Die am meisten verbreitete und in den meisten Lehrstätten unterrichtete ist die sog. "Kopenhagener Interpretation". Sie erlaubt uns, die Natur mit bisher unerreichter Genauigkeit zu beschreiben und hat nebenbei eine Revolution im technologischen Fortschritt ausgelöst. Moderne Technik wäre ohne die grundlegenden Erkenntnisse vieler Wissenschafter des vorherigen Jahrhunderts nicht denkbar!

Wie wir in dieser Artikelserie gesehen haben, kann die Quantenphysik ehemals paradoxe Phänomene, wie z. B. die Ultraviolett-Katastrophe, die Stabilität der Atome, die Elektronenbeugung oder den photoelektrischen Effekt, zufriedenstellend erklären. (Es gibt eine Erweiterung dieser "neuen Physik", die sog. "Quantenelektrodynamik" oder kurz "QED". Die Quantenelektrodynamik befindet sich bislang in vollkommener Übereinstimmung mit den Experimenten. Obwohl man sie ohne jahrelanger Beschäftigung mit Mathematik und Physik wohl nicht vollständig verstehen kann, möchte ich Interessierten Richard Feynmans Buch "QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie" ans Herz legen. Feynman beschreibt dieses/sein Konzept der QED auf eine Weise, die so anschaulich ist, dass ich sogar etwas damit anfangen konnte, als ich das Buch bereits vor meinem Physikstudium gelesen hatte.)
Die Quantenphysik vermag also alle Erscheinungen der Elektronenhüllen der Atome und damit die Atom- und Molekülphysik auf befriedigende Weise zu beschreiben. Erst bei der Untersuchung der Kernstruktur und der Elementarteilchen wird ihre Beschreibung lückenhaft. (Es ist übrigens auch noch nicht gelungen, allgemeine Relativitätstheorie, also die Gravitation, und die Quantenphysik erfolgreich zu vereinen. Falls das jemandem von euch eines Tages gelingt, könnt ihr wohl gleich die Koffer packen, um euch den Nobelpreis aus Stockholm abzuholen.)

Doch was ist nun eigentlich das Besondere an der Quantenphysik? Was ist ihre "zentrale Aussage"?
Wir haben bisher ja sehr viele kuriose Phänomene kennengelernt, sodass wahrscheinlich untergegangen ist, was die Quantenphysik eigentlich auszeichnet.
In vielen Quellen wird die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation als die grundlegende Aussage der Quantenphysik bezeichnet. Das stimmt nicht, denn sobald man akzeptiert, dass man "Teilchen" durch Wellen beschreiben kann, folgt die Unbestimmtheitsrelation (und zwar aus dem klassischen Fourier-Theorem). Obwohl diese Relation weitreichende und philosophische Fragen aufwirft, ist sie also in dem Sinne nicht "so besonders", wie einem oftmals glaubhaft gemacht wird.

Der zentrale Aspekt der Quantenphysik ist in der Tat die Beschreibung von Teilchen durch Wellen. Daraus resultieren dann all die Dinge, wie z. B. Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen und deren statistische Deutungen, Unbestimmtheitsrelationen etc.
Wie bereits angedeutet, lösten all die Aussagen der Quantenphysik bedeutsame philosophische Konsequenzen aus: Wir können Ereignisse im Universum nicht mehr exakt vorhersagen, so wie es in Newtons klassischer Weltbeschreibung möglich war. Das hat zwei Gründe: Erstens können wir den Zustand eines Mikroteilchens nicht beliebig genau kennen - die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation zwingt uns prinzipielle Grenzen auf. Zweitens ist es uns nur möglich, das zukünftige Schicksal (Ort, Zeit, Impuls) eines Teilchens durch Wahrscheinlichkeiten zu beschreiben. Ein einfaches Beispiel: Wir messen den Ort eines Teilchens mit großer Genauigkeit (den exakten Ort können wir wohlgemerkt nicht messen!), damit wird die Unbestimmtheit des Impulses des Teilchens sehr groß. Wir wissen nun also zwar relativ genau, wo sich das Teilchen zum Zeitpunkt der Messung befunden hat, jedoch haben wir aufgrund des in Zukunft riesigen Impulses ("= riesige Geschwindigkeit") wenig Ahnung, wie es sich nach der Messung weiterbewegt. Das zukünftige Verhalten eines Teilchens ist also nicht vollständig durch seine Vergangenheit bestimmt.

Das Beamen, wie es bei Star Trek vorkommt, funktioniert aus physikalischer Sicht somit leider nicht, da muss ich euch enttäuschen. Bei diesem speziellen Teleportationsvorgang werden ja die Positionen aller Teilchen des zu beamenden Individuums genau analysiert, worauf diese zerlegt und an einem anderen Ort mit Hilfe der zuvor gesammelten Information wieder zusammengebaut werden. Doch wie wir spätestens jetzt wissen, kann man die ursprünglichen Positionen der Teilchen ja gar nicht mit beliebiger Genauigkeit kennen. (In Star Trek funktioniert diese Art der Teleportation allerdings. Wie ist das möglich? - Naja, es gibt in Star Trek den sog. "Heisenberg-Kompensator", welcher die lästige Beschränkung durch die Unbestimmtheitsrelation einfach umgeht. Auf die Frage, wie denn der Heisenberg-Kompensator funktioniere, antwortete Michael Okuda, der künstlerische Leiter und wissenschaftliche Berater von Star Trek, ganz einfach "Er funktioniert sehr gut, danke".)

Zur neuartigen Quantenhypothese und der Beschreibung von Teilchen durch Wellen kommt ein weiterer wichtiger Aspekt der Quantenphysik: Die Rolle des Beobachters beim Messprozess.
Wie bereits in den vorhergehenden Artikeln zum Doppelspaltversuch angedeutet, beeinflusst der Beobachter (in unserem Fall der Experimentalphysiker) die zukünftige Entwicklung eines Systems. Wir haben gesehen, dass die Auftreffpunkte der Teilchen hinter dem Doppelspalt stark davon abhängen, ob man Veränderungen im experimentellen Aufbau vornimmt. Tätigt man bereits vorher eine Messung, indem man z. B. "heimlich" einen Detektor hinter einem Spalt aufstellt, beeinflusst man das Resultat des Experiments. Jede Messung an einem Quantensystem (z. B. einem Teilchen) zerstört also den Zustand des Systems und verändert dessen zukünftige Entwicklung. Das System kann nicht mehr als vom Beobachter getrennt betrachtet werden!
(Credit: xkcd)


Übrigens stellt diese Tatsache eine entscheidende Hürde für die Entwicklung eines "Quantencomputers" dar. In einem Quantencomputer (und natürlich auch in jeder art von quantenmechanischen Experimenten) ist man daran interessiert, das Quantensystem möglichst nicht zu zerstören. Es darf also keine Messung an diesem System stattfinden, sonst ist es kaputt. Doch was ist eine Messung? Vielleicht sagen manche, eine Messung sei, "wenn man hinsieht". Das ist auf jeden Fall richtig. Doch was bedeutet dann "hinsehen"? Wenn wir etwas visuell wahrnehmen, erreichen Photonen vom beobachteten Objekt unsere Netzhaut. Diese Photonen standen zuvor in Wechselwirkung mit dem Objekt. Das gilt auch für Beobachtungen mit Mikroskopen etc. Wir können allerdings auch Informationen über ein Objekt erhalten, wenn wir nicht "hinsehen". Mit geschickten Tricks kann man auch Informationen auf indirekte Art aus einem System quetschen, also quasi "ohne direkt hinzusehen". (Z. B.: "Die Kiste wackelt, also ist Schrödingers Katze noch am Leben.") Doch wie uns die Quantenphysik zeigt, ist jeder Prozess, bei dem wir Information über ein System erhalten (bzw. noch exakter: im Prinzip erhalten können), eine Messung und somit zerstört jeder derartige Prozess den Zustand des Systems. Um einen Quantenzustand aufrechtzuerhalten, ist folglich eine perfekte Isolierung von seiner Umwelt notwendig. Das ist experimentell schwer zu realisieren (wenn auch nicht unmöglich, wie bereits zahlreiche Versuche zeigten).
(Credit: Zach Weiner, SMBC)


Die Quantenphysik wirft also viele zum Nachdenken anregende, erkenntnistheoretische Probleme auf, die durchaus auch philosophische Fragen berühren. Die Interpretation der Natur durch die Quantenphysik ist mit unserem Alltagsverständnis der Welt großteils nicht vereinbar, deshalb erscheint diese neue Art der Physik vielen so unverständlich und widersprüchlich. Nichtsdestotrotz ist es Physikern und Mathematikern im Laufe der Jahrzehnte gelungen, eine Beschreibung der Natur zu finden, die zwar nicht immer anschaulich, jedoch mathematisch exakt ist.


Ich hoffe, ich konnte mit dieser Artikelserie eine kleine, halbwegs verständliche und nachvollziehbare Einführung in die "Welt der Quanten" geben!
Die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik wurde 1927 von Niels Bohr und Werner Heisenberg formuliert und ist somit bereits fast 90 Jahre alt. In der Zwischenzeit stand der physikalische Erkenntnisgewinn und der technologische Fortschritt natürlich nicht still. Ganz im Gegenteil: Es hat sich gewaltig viel getan! Mit dieser Artikelserie wollte ich nur ein paar Grundpfeiler der Quantenphysik vorstellen, auf denen man aufbauen kann. Die Geschichte ist überdies noch lange nicht zu Ende. Etwa zur gleichen Zeit der Kopenhagener Deutung stellte Erwin Schrödinger eine grundlegende Gleichung der Quantenmechanik auf - die Schrödingergleichung. Über sie könnte man auch eine ausführliche Artikelserie schreiben. Vielleicht mache ich das noch früher oder später. Falls das jemand nicht mehr abwarten mag, leite ich gerne weiter zu Martin Bäkers Arikelserie zur Schrödingergleichung. (Sein Blog "Hier wohnen Drachen" ist großartig!)
Die Quantenmechanik hat auch heute noch viele unerforschte Bereiche und zahlreiche Fortschritte wurden seit Schrödingers Zeiten gemacht. Das wohl bekannteste Beispiel aus der letzten Zeit ist die "Quantenteleportation", bei der man die Information eines Quantensystems tatsächlich über beliebige Strecken instantan "teleportieren" kann.

Die Welt der Quantenphysik und -mechanik ist eine spannende und faszinierende! Wer hätte sich gedacht, dass die Natur so zu funktionieren scheint? Fest steht, dass es Persönlichkeiten wie Schrödinger oder Einstein nicht zu glauben vermochten...



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