Samstag, 3. Mai 2014

Gedanken zur Tschernobyl-Katastrophe (2/2)

Dieser Artikel ist die Fortsetzung eines einleitenden Artikels zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, in welchem der Unfall, seine Ursachen und ein paar seiner Konsequenzen knapp besprochen wurden. Für das generelle Verständnis des heutigen Artikels ist der erste aber nicht essentiell.

Können wir nach allem, was passiert ist (die Tschernobyl-Katastrophe ist ja nur einer von mehreren Unfällen - wenn auch einer der bislang größten), überhaupt noch Argumente für die Energiegewinnung durch Kernkraft finden?

Nun ja, soweit ich es beurteilen kann, gibt es sehr wohl Pro-Argumente.
Ein erheblicher Vorteil von Kernkraftwerken ist, dass sie während des Betriebs keine Schadstoffe ausstoßen, was in Anbetracht der zweifelsfrei stattfindenden globalen Erwärmung durch jahrzehntelangen Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen von enormer Bedeutung ist. Wird von einer Regierung und/oder Bevölkerung beschlossen, Kernkraftwerke stillzulegen, so werden oftmals weitere Kohlekraftwerke eröffnet (wie z. B. in Deutschland). Diese Kohlekraftwerke sind ein schlechter Ersatz für Kernkraftwerke, zumal sie enorme Mengen CO2 ausstoßen. Abhängig von Bauart und eingesetzter Technologie setzt ein Kohlekraftwerk etwa 17 bis 60 mal so viel CO2 frei wie ein Kernkraftwerk bzw. wie Wind- oder Wasserkraftwerke. Es ist nicht besonders verwunderlich, dass die Experten des aktuellen IPCC-Klimaberichts auf diesen positiven Aspekt der Kernkraft hinweisen. Klar, Kohle ist billig und ausreichend vorhanden (deshalb kommt auch so ein großer Teil unserer Energie aus dieser Ressource) - aber auch Kernkraft ist billig, da die Energiemenge, die man durch Kernspaltung gewinnen kann, unglaublich viel größer ist als die Energiemenge, die durch die Verbrennung von Kohle entsteht. Kernkraftwerke können also prinzipiell viel effizienter sein als andere Arten von Kraftwerken.

Ein großes Anti-Kernkraftargument ist häufig die Problematik der "Endlagerung". Es geht dabei darum, dass man "abgebrannte" Brennelemente, die keine effiziente Energieerzeugung mehr ermöglichen, isoliert und von der Umwelt getrennt irgendwo lagern muss, bis die Radioaktivität auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß abgeklungen ist (was in der Tat sehr lange dauert). Soweit ich beurteilen kann, stellt die Energieerzeugung durch Kernkraftwerke auch dann noch eine gute Alternative zu manch anderen Stromerzeugungsarten dar, wenn man die Problematik der Endlagerung mitberücksichtigt. Ich möchte hier aber nicht ausführlicher auf dieses Thema eingehen.
Nur Eines soll noch erwähnt werden, denn dies ist vielen unbekannt, denke ich: Man kann große Mengen an "Atommüll" vermeiden, wenn man die abgebrannten Brennelemente wiederaufbereitet, also auf eine gewisse Art "recycelt". Die Menschheit kann und will sich aber leider immer noch nicht soweit selbst vertrauen, dass man dieses Wiederaufbereiten überall erlaubt. Der Grund dafür ist, dass man in diesem Prozess waffenfähiges Plutonium gewinnen kann. Außerdem kommt dazu, dass es im Moment noch viel wirtschaftlicher ist, die alten Brennelemente "wegzuwerfen" und sich neue zu besorgen als die gebrauchten wiederaufzubereiten.

Reaktorhalle des mittlerweile stillgelegten Kernkraftwerks Ignalina (Litauen).
Gut sichtbar sind die vielen einzelnen Druckröhren, die charakteristisch für den RBMK-Typ sind.
(Credit: Argonne National Laboratory, via Wikimedia Commons)

Die Technik, die in Kernkraftwerken eingesetzt wird bzw. werden kann, ist ausreichend gut verstanden, um einen äußerst sicheren Betrieb garantieren zu können. Für den Bau von Reaktoren gelten strenge Sicherheitsauflagen und das Risiko eines großen Unfalls ist bei modernen Reaktoren tatsächlich sehr gering. Man hat mittlerweile auch erkannt, dass der Mensch einer der größten Risikofaktoren beim Betrieb eines Reaktors darstellt, da er Situationen falsch beurteilen und falsch handeln kann (vgl. Tschernobyl-Unfall). Deshalb sind Sicherheitssysteme mehrfach redundant vorhanden, funktionieren jeweils unabhängig und durch verschiedene physikalische Effekte und sind räumlich voneinander getrennt. Es können also sogar mehrere Sicherheitssysteme im Reaktor ausfallen, ohne dass unausweichlich eine unkontrollierbare Situation entsteht.
Sehr oft wird in Diskussionen das Argument hervorgebracht, dass - egal was man über die Sicherheit von Reaktoren sagen kann - ja doch immer wieder "etwas passiert" sei. Dies ist ein durchaus vernünftiger Einwand. Leider aber werden die Anti-Kernkraftargumente oft mit der Tschernobyl-Katastrophe als Argument untermauert, was die doch einigermaßen komplexe und vielschichtige Problematik zu sehr vereinfacht. Der Grund dafür ist simpel: Der RBMK-Reaktortyp, wie er im Kernkraftwerk Tschernobyl und in vielen anderen sowjetischen Kraftwerken eingesetzt wurde, ist tatsächlich eine (vergleichsweise) risikoreiche Maschine, wie bereits im vorhergehenden Artikel angedeutet! Es wäre nicht vernünftig, weitere RBMK's zu bauen - darauf kann man sich vermutlich schnell einigen. Doch es gibt andere Typen von Kernkraftwerken; die verbreitetsten unter ihnen sind wohl die Druckwasser- (PWR, pressurized water reactor) und Siedewasserreaktoren (BWR, boiling water reactor). Diese Bauformen sind grundlegend anderes, haben viel mehr Sicherheitssysteme, welche wiederum mehrmals vorhanden sind und sogar jeweils verschiedene physikalische Funktionsweisen für einen gleichen Effekt haben. (So kann z. B. die Kettenreaktion im Kern entweder durch Einfahren von Steuerstäben gestoppt werden, oder aber - wenn beispielsweise der Strom für den Steuerstabantrieb ausfällt - durch Borsäure (Neutronenabsorber), die den Reaktorkern flutet, wenn ein entstehender Überdruck eine entsprechende Berstscheibe zerbrechen lässt.) Diese Reaktoren haben wiederum einen negativen Dampfblasenkoeffizienten, weil das Wasser sowohl Kühlungs- als auch Moderatormittel ist. (Es gilt wiederum: Gelangt weniger Wasser zum Kern oder entstehen Dampfblasen aufgrund erhöhter Reaktivität, so bewirkt der Verlust von Moderatorflüssigkeit eine geringere Ausbeute von langsamen Neutronen für die weitere Kernspaltung und der Reaktor kühlt aufgrund geringerer Spaltraten von selbst ab.)

Natürlich - das Risiko ist bei keinem Kernreaktor Null. (Das würde ja auch gar nicht realisierbar sein.) Aber ich hoffe, dass jedem bewusst ist, dass man - als Individuum oder als Gesellschaft - immer abwiegen muss zwischen Risiko und Nutzen und sich letztendlich nur für einen Kompromiss entschließen kann.
Jetzt kommt ein auf den ersten Blick billig wirkender Vergleich - doch denkt bis zum Ende mit, dann wisst ihr, worauf ich eigentlich damit hinaus will:
Möchte man als Privatperson etwa die großen Vorteile eines eigens gesteuerten Fortbewegungsmittels (z. B. Auto) genießen, muss man bereit sein, ein gewisses Risiko einzugehen. Im 8,4-Millionen-Einwohner-Land Österreich sterben pro Jahr mehr als 500 Personen durch Verkehrsunfälle. Das Risiko für den einzelnen Autofahrer ist somit gering, aber dennoch nicht Null. Man nimmt tatsächlich - und das kann man natürlich auch vernünftig rechtfertigen - ein geringes Risiko, in einem Verkehrsunfall zu sterben, in Kauf, sobald man in ein Auto steigt - ob man es will oder nicht. Trotz den über 500 Verkehrstoten pro Jahr in Österreich (in Deutschland sind es knappe 4000 pro Jahr) würden die wenigsten von uns auf die Straße gehen und für die generelle Abschaffung des Transportwesens demonstrieren. Diese Anzahl an Sterbefällen pro Jahr wird also von der Gesamtheit der Bevölkerung in gewisser Weise akzeptiert. "Es lässt sich einfach nicht vermeiden, es ist halt so", denkt man sich. Diese Aussage tätigen wir wohl deshalb so leichtfertig, weil man als Einzelperson nicht panisch fürchtet, dass man selbst bald Opfer eines Verkehrsunfalls wird - und der Grund dafür ist, ganz simpel gesagt, das geringe Risiko.
Ich finde, dass diese Argumentation durchaus auch auf Überlegungen bezüglich Kernkraftwerken anwendbar ist: Die Vor- und Nachteile von Kernkraftwerken sind bekannt (oder sollten es im Groben zumindest sein!). Wir bekommen billigen Strom, verbunden mit geringer Schadstoffproduktion und wenig Platzaufwand für das Kraftwerk (verglichen mit z. B. Wasserkraftwerken). Zu all diesen Vorteilen wird - so wie bei allem im Leben - ein Risiko mitgeliefert, nämlich das Risiko freigesetzt werdender Radioaktivität. Natürlich sind wir interessiert, dieses Risiko zu minimieren, was uns auch gut gelingt, wenn wir ein Kerkraftwerk nach neuesten Standards bauen (und keine Reaktoren wie den RBMK in Tschernobyl). Natürlich sterben auch Menschen an den Folgen der Kernenergie, doch wenn man die diesbezüglichen Sterbefälle pro Jahr ausrechnet, kommt man auf eine vergleichsweise kleine Zahl. Pro 10 Milliarden Kilowattstunden Kernenergie sterben durchschnittlich 0,2 bis 1,2 Menschen (der Großteil übrigens nicht an den Folgen von großen Unfällen, sondern an den des Uranabbaus). Für Kohleenergie ergeben sich 2,8 bis 32,7 Tote pro 10 Mrd. kWh. Um diese Zahl vergleichen zu können, machen wir als Beispiel eine Abschätzung für Deutschland. Anscheinend werden in Deutschland jährlich etwa 100 Milliarden Kilowattstunden Strom durch Kernkraftwerke erzeugt. Wir müssen also die zuvor angegebenen Zahlen der Todesfälle mit 10 multiplizieren, um auf die ungefähre Gesamtzahl der Todesopfer durch Kernenergie pro Jahr in Deutschland zu kommen. Wir erhalten 2 bis 12 Todesopfer pro Jahr. Um die gleiche Menge an Strom durch Kohlekraftwerke zu produzieren, müsste man im Schnitt 28 bis 327 Todesfälle in Kauf nehmen. Beide Zahlen, aber natürlich vor allem die Zahl der Kernenergiefolgen-Todesopfer, sind klein im Vergleich zu den fast 4000 Transportmittel-Todesfällen in der gleichen Zeit (welche wiederum wenige sind im Vergleich zu den Toden durch Krebs etc.). Die für diese Rechnung getroffenen Annahmen und die Rechnung an sich sind natürlich etwas undurchsichtig und fehlerbehaftet. Das ganze sollte nur als Abschätzung für die Größenordnungen dienen, mit denen wir es hier zu tun haben.

Jetzt kommt allerdings ein wichtiger Nachsatz: Mit dieser Argumentation kann ich (und will ich) natürlich nicht den Bau von Kernkraftwerken befürworten. Das geht auch gar nicht, denn ich vergleiche mehrere Zahlen von Todesfällen, die jeweils nichts miteinander zu tun haben, - und es steht logischerweise auch überhaupt nicht zur Diskussion, dass jeder frühzeitige Tod eines Menschen bedauernswert ist und so gut es geht vermieden werden sollte. Die obige Überlegung sollte allerdings einen Gedankenanstoß geben, der einen selbst etwas allumfassender über das Thema nachdenken lässt. Obwohl (zumindest in Deutschland) die zwei "Tausendstel-Menschen" (0,002) pro Jahr, die an den Folgen der Kernenergie sterben, eine verschwindend kleine Zahl im Vergleich zu den 4000 "ganzen Menschen", die im Transportwesen sterben, ist, werden letztere Todesfälle von der Gesamtheit der Gesellschaft weitgehend akzeptiert und erstere oft nicht. Oder anders formuliert: Leute gehen auf die Straße, um gegen den Bau eines neuen Kernkraftwerks zu demonstrieren (paradoxerweise aber seltener, um gegen ein Kohlekraftwerk zu demonstrieren, soweit mir bekannt), sie demonstrieren jedoch nicht gegen die Erhaltung des Transportwesens und die damit verbundenen jährlichen Todesfälle. Denkt man länger über diesen Sachverhalt nach, stellt sich hier doch die Frage "Warum?", oder?

1886: Benz-Patent-Motorwagen Nummer 1,
das erste "moderne" Automobil.
(Credit: DaimlerChrysler AG)
2006: Tesla Roadster,
das erste Modell des Elektroauto-Herstellers Tesla.
(Credit: fogcat5, via Wikimedia Commons)
Der Autoverkehr hat sich in 120 Jahren offensichtlich stark verändert. An das seither gestiegene, mit dem Straßenverkehr verbundene Risiko haben wir uns als Gesellschaft gewöhnt. Anderen Entwicklungen treten wir mit unverhältnismäßig großem Misstrauen gegenüber.

Vermutlich hat die Antwort damit zu tun, dass Autofahren konzeptuell leichter zu verstehen ist als Kernkraftwerke, dass man das Gefühl hat, das eigene Schicksal als Fahrzeuglenker selbst in der Hand zu haben, während man sich bei Kernenergie auf andere Menschen verlassen muss, usw... Der wohl ausschlaggebendste Punkt ist vermutlich allerdings, dass unser Gehirn sich einfach irrsinnig schwer tut mit statistischen Überlegungen. (Wir glauben ja alle irgendwo, dass wir dieses Mal aber einen Sechser würfeln müssen, wo wir doch schon so viele Male zuvor Pech hatten. In den Ohren der Statistik löst eine solche Aussage natürlich trotzdem schlimme Furunkel aus.)
Versucht man diese Frage statistisch zu beantworten - und glaubt mir, viele Fragen muss man statistisch beantworten und sich von seinen persönlichen Erfahrungen lösen, um letztendlich zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen! -, so muss man fast zwangsläufig zum Entschluss kommen, dass man sich über Kernkraftwerke viel weniger aufregen sollte als z. B. über den Autoverkehr.
(Das mit dem Verkehr war natürlich nur ein willkürliches Beispiel. - Mit den Todesfällen durch Krebs und ähnliche Krankheiten, die viel dramatischere Zahlenverhältnisse ergeben würden, ginge meine Argumentation allerdings nicht, denn man kann, denke ich, davon ausgehen, dass die Bevölkerung durchaus an der Reduktion der Sterbefälle durch Krebserkrankungen interessiert ist und diese Art der Sterbefälle somit nicht im oben erklärten Sinne akzeptiert.)

Das Risiko von Sterbefällen als Folge von Kernenergie ist also sehr gering im Vergleich zu anderen Energieformen. Aufmerksamen Lesern stellt sich vielleicht die Frage, wie es denn mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen aussieht, die nicht zum Tod führen und somit nicht in die vorherigen Überlegungen eingegangen sind. Zu diesem Punkt werde ich hier allerdings nichts schreiben, denn 1.) ist die Abschätzung der Korrelationen zwischen Krankheiten etc. und den verschiedenen Energieformen äußerst schwierig, 2.) wollte ich mit dem Beispiel der Todesfälle nur ein grobes Gefühl für die Zahlenverhältnisse geben und darauf aufmerksam machen, dass Kernkraftwerke keine akute Gefahr für unsere Bevölkerung darzustellen scheinen und 3.) würde eine weitere Behandlung den Artikel noch länger machen.

Blick ins Innere des TRIGA-Forschungsreaktors des Atominstituts der Technischen Universität Wien.
Aufgrund der geringen Leistung dieses Reaktors kann man bedenkenlos während des Betriebs von oben auf das Core schauen.
(Credit: ATI, TU Wien)

Jede Medaille hat zwei Seiten...
Ein gewisses Risiko, sei es vielleicht noch so klein, gibt es immer, egal was man tut.
Geht man als Einzelperson außer Haus, kann es passieren, dass man von einem Auto überfahren wird. Bleibt man immer Daheim, läuft man z. B. Gefahr zu vereinsamen.
Baut eine Gesellschaft ein Kernkraftwerk, kann es passieren, dass ein Unfall passiert und radioaktive Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden. Baut man kein Kernkraftwerk, muss man auf andere Technologien zurückgreifen. Eine Kohlekraftwerk hat dann etwa eine Erwärmung des Planeten zur Folge, was unvorstellbar tiefgreifende Folgen haben wird. (Es gibt natürlich bessere Alternativen zu Kohlekraftwerken, z. B. im Bereich der "erneuerbaren Energien". Außerdem bin ich für dieses Argument davon ausgegangen, dass die Strommenge, die wir brauchen, nach unten hin unveränderlich ist, was eine durchaus vernünftige Annahme darstellt, wo man doch schätzt, dass der globale Energieverbrauch sich bis zum Jahr 2050 mindestens verdoppelt hat.)

Kernkraftwerke sind also insgesamt gesehen keine so schlechte Möglichkeit zur Energieproduktion, wie man vermuten könnte (...zumindest großteils in Österreich - von anderen Ländern hab ich diesbezüglich wenig Erfahrung). Man sollte sich, sowohl als Individuum als auch als Gesellschaft, zumindest überlegen, welche Anteile des Stroms in der Leitung von welchen Quellen kommen sollten. Sicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind dabei wichtige Faktoren, die diese Entscheidung beeinflussen.

Ein modellhafter Querschnitt durch den von mehreren Nationen
auf europäischem Boden in Bau befindlichen Fusionsreaktor ITER.
(Man beachte den weißen Menschen rechts unten!)
In einem toroidalen Plasmagefäß wird Gas so lange erhitzt und
komprimiert werden, bis Atomkerne miteinander verschmelzen
und Energie freisetzen.
(Quelle: Wikimedia Commons)
Ein weiterer Gedanke, der hier angeführt werden soll, ist, dass der Strom aus der Steckdose auch in Zukunft immer ein Mix aus verschiedenen Quellen bleiben wird. Es wäre nicht sinnvoll, elektrische Energie aus nur einem Typ von Kraftwerk zu beziehen. Angeregt durch diesen Gedanken möchte ich hier nochmal bemerken, dass dieser Text kein Plädoyer für den Bau von Kernkraftwerken sein sollte, sondern lediglich die irrationale Angst und Skepsis bezüglich dieser Form der Energieerzeugung nehmen sollte. Möglicherweise habe ich mich hinreißen lassen, eher die Pro-Kernkraftargumente anzuführen, doch irgendwo war dies auch meine Intention, da Argumente gegen die Kernkraft meiner Meinung nach ohnehin oft durch's Land gerufen werden.

Wir werden außerdem sehen, welche Technologien wir in Zukunft entwickeln werden. Einerseits wird es einen Fortschritt in der Verbesserung der Effizienz von elektronischen Geräten geben (was vermutlich aber nicht das Energieproblem lösen kann, da wir dann dazu neigen werden, einfach mehr Energie zu brauchen), andererseits hofft man auf völlig neue und die Energiegewinnung revolutionierende Technologien (in diesem Zusammenhang werden oft die momentan sich in Entwicklung befindlichen Fusionsreaktoren genannt). Es gibt viele Menschen, die sich um eine Verbesserung der Welt in Hinsicht auf unser Energieproblem bemühen - hoffen wir, dass ihnen genügend (finanzielle) Mittel zur Verfügung gestellt werden!

Inneres des Fusionsreaktors der amerikanischen National Ignition Facility.
192 Laserstrahlen sollen eines Tages gleichzeitig auf ein winziges "Target" treffen,
dort Atome zum Verschmelzen bringen und enorme Mengen an Energie freisetzen.
(Credit: LLNL, NIF)

Unsere Gesellschaft - und wenn ich so etwas sage, meine ich natürlich nicht ausschließlich Österreich, sondern eher eine große Gesamtheit von Gesellschaften - würde gut daran tun, sich jetzt und in Zukunft viel ernsthafter und differenzierter mit solchen Themen beschäftigen. Sie muss zumindest ein klein wenig über den (technologischen) Stand der Dinge Bescheid wissen, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können! Wir müssen soweit informiert sein, dass wir erkennen, wann es letztendlich wichtig ist, für irgendetwas Steuergelder auszugeben. Andernfalls trifft diese Entscheidung jemand anderer, und wer weiß, zu wessem Wohl dieser Entschluss dann fällt.
Eine Bevölkerung sollte z. B. nicht demonstrieren, wenn die Wartung und Instandhaltung eines Kernkraftwerkes kleine Mengen an Steuergeldern verschlingt - oder die Förderung der Kompetenz des Bedienpersonals. (Jaja, vor allem Geld, das für Bildung ausgegeben wird, wird sich mehrfach auszahlen, auch wenn die aktuelle Entwicklung den Anschein macht, dass dieser Gedanke vielen Politikern fremd sei.) Ansonsten wird man damit rechnen müssen, dass verschlissene Komponenten des Kraftwerks möglicherweise zu einem Unfall führen. Man sollte es sich auch nicht gefallen lassen, wenn eine (private) Betreiberfirma Sicherheitsbedenken nicht ernst genug nimmt. (So war es ja anscheinend im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi: Man wusste, dass der Damm an der Küste zu niedrig war, um große Tsunami-Wellen zurückhalten zu können. Dagegen unternommen hat man nichts, weder die Betreiberfirma, noch die japanische Atomaufsichtsbehörde NISA, noch die Bevölkerung. Jahre später (2011) legte eine Flutwelle die Stromversorgung lahm und führte zu mehreren Kernschmelzen.) Man sollte einfach versuchen, ein Gefühl für die Größenverhältnisse zu erhalten und realisieren, dass manche (nicht alle) Dinge, vergleichsweise gar nicht so teuer sind, wie man (vielleicht durch Medienberichte) vermuten könnte.
Dies trifft natürlich auf eine große Bandbreite an Problemen zu. Ein globales, komplexes Beispiel: Die (industrialisierte) Gesellschaft sollte nicht gleich, ohne zuvor zu überlegen, aufschreien, wenn von der internationalen Politik angestrebt wird, eine "Energiewende" von fossilen Brennstoffen hin zu nachhaltigeren zu finanzieren (was vermutlich etwa 1 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts kosten würde, also etwa 500 Milliarden Euro jährlich (Stern-Report) - die globalen Subventionen für die fossile Treibstoffproduktion sind etwa genauso viel, die globalen Ausgaben für militärische Zwecke weit über 1000 Milliarden Euro), sondern vorher die Größenverhältnisse, sowie längerfristige Vor- und Nachteile abwiegen und daraus eine möglichst allumfassende Meinung bilden, die man durchaus bereit ist, jederzeit wieder in Frage zu stellen, vor allem dann, wenn sich neue Erkenntnisse und Möglichkeiten darbieten.

Grafik aus dem aktuellen IPCC-Klimabericht: Veränderung der globalen Oberflächentemperatur.
Wenn wir weitermachen wie bisher, werden die Temperaturen weiterhin rasch anwachsen ("rotes Szenario").
Wir hätten allerdings das Potential, ein anderes Szenario (eines der "blauen") einzuleiten. Enorme Veränderungen in sämtlichen Lebensbereichen unserer industrialisierten Welt wären notwendig. Doch wir könnten es schaffen. Und wir sollten es auch schaffen wollen! - Oder kennt ihr einen anderen Planeten als die Erde, der so gemütlich ist für uns Menschen?
(Quelle: IPCC Fifth Assessment Report: Climate Change 2013 (AR5))

So ... bevor ich noch weitere Türen aufstoße, über die zu schreiben ich mich dann wieder gedrängt fühle, höre ich hier lieber auf. Der Artikel ist lang genug geworden.

Was wollte ich mit diesem (und dem vorhergehenden) Artikel also eigentlich aussagen?
In aller Kürze könnte man es auf diese paar Sätze zusammenfassen:
Die Welt - und vor allem unsere technologisierte Welt - ist sehr komplex geworden. Wir sollten uns bemühen, Sachverhalte nicht für zu einfach zu halten und Probleme in ihrer Gesamtheit zu verstehen, und erkennen können, dass die wenigsten Dinge entweder "nur gut" oder "nur schlecht" sind und wir somit im besten Fall nur Kompromisse finden können. (Anhand des Tschernobyl-Unfalls und Kernkraftwerken im Allgemeinen habe ich versucht, diese Aussage verständlich zu machen.) Dies wird uns nicht immer gelingen; doch das kann kein Grund dafür sein, es gar nicht erst zu versuchen!
Es sieht also so aus, als sei unsere Welt auf allen Ebenen erheblich komplexer und vielseitiger als uns vielleicht lieb sein mag. Irgendwo stört mich das ja auch selbst enorm - doch ob es einem passt oder nicht: Wir müssen uns damit wohl einfach abfinden und dann versuchen, unser Bestes für die Zukunft zu geben.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen