Freitag, 4. April 2014

Alltagsphänomen: Suppenkühlmechanismus

Jeder kennt es, jeder macht es: Ist die Suppe zu heiß, bläst man darauf und die Suppe kühlt ab - wenn auch meistens langsamer als man sich es wünscht.
So wie bei auch allen anderen Dingen im Leben, kann ich wieder einmal empfehlen, die einfache und so erkenntnisbringende Frage zu stellen: Warum? - Warum wird die Suppe kälter, wenn ich darauf blase?


Wie jeder weiß, kühlt die heiße Suppe so oder so ab - ob man nur darüberbläst oder nicht. Der Grund ist einfach, dass die Wärme, die darin steckt, langsam an die Umgebung abgegeben wird. Aber warum geht die Suppenwärme schneller in die Umgebung, wenn man seine Lunge darüber entleert? Bläst man nicht, ist die Suppe umgeben von Luft - bläst man, ist sie wiederum umgeben von Luft (nur dass sich diese nun halt bewegt). Hat die Luft irgendeine spezielle Kühlungfähigkeit bekommen, weil sie zuvor durch meine Lungenflügel gewandert ist? (Das wäre doch eigenartig, denn sie ist dadurch ja unter anderem um ein paar Grad wärmer geworden als die Umgebungsluft.)
Warum also kann ich meine Suppe kälter blasen?

Die Antwort auf diese Frage kann vermutlich so ausführlich und lange ausfallen, dass jede Suppe in der Zwischenzeit auch von alleine völlig auskühlen würde. Deshalb versuche ich hier, eine möglichst kurze und anschauliche Erklärung zu geben.

Tja... Warum nicht?!
(Quelle: Aha! Jokes, http://www.AhaJokes.com/)
Bevor ich richtig beginne, möchte ich kurz noch einmal festhalten, was Temperatur eigentlich bedeutet: Ein Maß für die Temperatur ist, einfach gesagt, die mittlere Bewegungsgeschwindigkeit der Teilchen in der Suppe (...wobei dabei natürlich nicht die Suppeneinlage gemeint ist - die bewegt sich ja normalerweise nicht wild hin und her, sofern sie nicht lebendig ist [Ich möchte an dieser Stelle natürlich anmerken, dass man keine lebendigen Dinge in heißes Wasser schmeißen soll. Ist nicht cool!] -, sondern die molekularen Bestandteile der Mahlzeit). Eine höhere Temperatur bedeutet, dass sich die Teilchen in der Suppe im Durchschnitt schneller bewegen als bei niedrigeren Temperaturen.

Außerdem sei gesagt, dass die Suppenoberfläche auf molekularer Ebene nicht so eine klare, glatte Grenzfläche zwischen Suppe und Umgebungsluft ist, wie man meinen könnte, wenn man vor dem Teller sitzt.
Und damit sind wir schon nahe an den Kern der Sache gekommen: Wie sieht die Grenzfläche aus? Was passiert dort?

Die Geschwindigkeiten der verschiedenen Teilchen in der Suppe sind natürlich nicht alle gleich. Es gibt schnellere und langsamere Teilchen. Manche schnellen Teilchen schießen aus dem Suppenteilchenmeer heraus, prallen mit Lufteilchen zusammen, fliegen wieder in das Suppenteilchenmeer hinein. Andere sind nicht schnell genug, um die Anziehungskräfte zu den anderen Suppenteilchen zu überwinden und bleiben im Teilchenmeer. Manche Teilchen können allerdings dem Suppenteilchenmeer entfliehen. Auf atomarer Ebene geht es ziemlich turbulent zu an der Suppenoberfläche!
Die Grenzfläche zwischen Suppe und Luft ist also etwas verwaschen. Es befinden sich stets Teilchen, die ursprünglich mal in der Suppe waren, in einer kleinen Luftschicht über der Oberfläche. Konkret kann man sagen, dass sich eine dünne (Wasser-)Dampfschicht über der Suppe bildet. Es gibt im Gleichgewicht also eine Schicht (oder "Phase"), in der sich sowohl Wasserdampf und Luft befinden.

Jetzt kommt der Trick mit dem Blasen!
Pustet man über die Suppe, so wird dieses soeben beschriebene Gleichgewicht gestört: Die Dampfatmosphäre über der Suppe wird weggefegt. Es will sich allerdings wiederum das Gleichgewicht einstellen, denn in der "frischen" Luft ist nun wieder "Platz" für Wasserdampf - sie ist noch nicht mit Dampf gesättigt.
Also lösen sich abermals Teilchen aus der Suppenschicht in der Luftschicht. Doch warum kühlt dadurch die Suppe ab?

Mir fallen zwei Möglichkeiten ein, wie man sich den Abkühlprozess vorstellen kann, wovon eine einigermaßen anschaulich ist und die andere wohl ein paar Grundkenntnisse der Thermodynamik erfordert. (Die letztere werde ich also nur knapp erwähnen.)

Zum Beispiel kann man sich fragen, welche Teilchen aus der Suppe überhaupt in die Dampfatmosphäre wandern. Statistisch gesehen werden es eher diejenigen Teilchen sein, die genug Geschwindigkeit haben, um die Anziehungskräfte zwischen den anderen Teilchen in der Flüssigkeit überwinden zu können. Die schnellsten Teilchen fetzen also aus der Suppe heraus und bleiben in der darüberbefindlichen Luft. Bildet man nun den Durchschnitt der Geschwindigkeiten von den in der Suppe zurückgebliebenen Teilchen, wird dieser kleiner sein als zuvor, denn die Durchschnittsgeschwindigkeit nimmt ja ab, wenn man die schnellen Teilchen aus der Rechnung nimmt. Eine niedrigere Durchschnittsgeschwindigkeit bedeutet eine niedrigere Temperatur, denn so haben wir Temperatur ja "definiert".
Tadaa! - Die Suppe ist abgekühlt.

Die andere Art, sich den Abkühlvorgang vorzustellen, ist etwas unanschaulicher, weil man sich einer etwas unzugänglichen thermodynamischen Größe bedient - nämlich der Entropie. Ich möchte hier nur kurz erwähnen, dass sich bei der Diffusion von Flüssigkeitsteilchen in die gasförmige Luftphase die Entropie der Suppe verringert. Nun ist die Änderung der inneren Energie U der Suppe nach der Entropie S (bei konstantem Volumen V) definiert als die Temperatur T. Der selbe Satz in einer anderen (etwas präziseren) Sprache lautet: (∂U/∂S)V=T. Sinkt also die Entropie durch den Prozess des Hinausdiffundierens von Teilchen aus der Suppe, so sinkt auch die Temperatur der Suppe.

Natürlich kühlt die Suppe auch von alleine aus. Der Mechanismus dabei ist großteils der gleiche, nur dauert es einfach viel länger, da die Dampfschicht über der Suppe relativ lange bestehen bleibt, wenn man sie nicht wegbläst. Dadurch können in der gleichen Zeit weniger Teilchen aus der Suppe herausdiffundieren - es wird für sie ja nicht so schnell wieder "neuer Platz" in der Dampfatmosphäre geschafft.

Übrigens: Mit einer Schaumschicht auf dem Kaffee bleibt dieser länger warm.
Ihr könnt euch jetzt überlegen, warum das so ist.
(Foto von Christopher Michel, CC BY-NC-SA 2.0)


So. Nachdem ich das Wort "Suppe" nun genau 40 Mal geschrieben habe, ist es mir tatsächlich gelungen, mir selbst Appetit zu machen.
Falls es noch jemand eine Zeit lang ohne Essen aushält, kann sie/er sich eine weitere Anwendung des Suppenkühlungsphänomens ansehen, denn jetzt ist man bestens gerüstet, um z. B. den verrückten Mechanismus zu verstehen, mit dem man flüssiges Helium auf wenige Mikrokelvin (ein paar Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt von -273 °C) abkühlen kann. (Sprecht in der Öffentlichkeit aber lieber von "Quantum Cooling" und nicht von "Suppenkühlmechanismus". Ersteres klingt einfach viel lässiger!)

Lasst es euch von Andrea Morello, einem erfrischenden Professor der New South Wales University, erklären in diesem Video von 2Veritasium:

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