Astronaut Don Pettit spielt mit seinem Essen - und das bei 28.000 km/h. (Credit: NASA) |
Die Leute auf der ISS müssen sich also regelmäßig auf die Waage stellen, um ihr Körpergewicht im Auge zu behalten. Dazu schweben sie ins Raumstations-Badezimmer und schnallen sich auf die im Jahr 2001 hochgebrachte rot-weiß-gestreifte Badezimmerwaage. Wenn sie dann merken, dass sie nicht ganz ihr Wunschgewicht haben, straffen oder lockern sie die Gurte, die sie gegen die Waage drücken. Sobald die Anzeige ihr optimales Gewicht anzeigt, werden diese Daten an die Bodenstation übermittelt. Seit 2001 gibt es übrigens keine Gewichtsprobleme bei Astronauten zu vermerken.
Nun gut, der letzte Absatz ist natürlich absoluter Blödsinn!
Richtig allerdings ist, dass Astronauten tatsächlich über ihre Körpermasse bescheid wissen müssen. Trainieren sie beispielsweise nicht genug, so haben sie eine schwere Zeit, wenn sie sich nach einem halben Jahr in der Schwerelosigkeit wieder an die Gravitation am Erdboden gewöhnen müssen.
Wie aber bestimmt man seine Körpermasse in der Schwerelosigkeit?
Sich auf eine Waage zu stellen, funktioniert aus leicht ersichtlichen Gründen nicht - im Orbit ist man ja schwerelos. Man könnte damit nur die Spannkraft der Gurte messen.
Aus diesem Grund hat man etwas in die physikalische Trickkiste gegriffen und eine im Grunde relativ einfache Lösung für dieses Problem gefunden: Man bedient sich der einfachen Schwingungsgleichungen, die direkt aus dem zweiten Newton'schen Axiom (F = m·a) folgen. Umgeformt auf die Masse (die Astronautenmasse, die wir ja finden wollen) sieht dieses Axiom so aus: m = F/a. Die Masse ist also Kraft geteilt durch die Beschleunigung.
Nun nehmen wir eine große Feder, von der wir die Federkraft "F" kennen, und binden einen Astronauten an ein Ende. Wenn wir nun Beschleunigungen "a" messen, die der Astronaut an der schwingenden Feder erfährt, können wir einfach seine Masse bestimmen. Je schwerer der Astronaut ist, desto langsamer wird er hin- und herschwingen.
Schematische Weltraum-Waage: Der Astronaut wird in erster Näherung als Würfel behandelt. (Credit: Oleg Alexandrov, via Wikimedia Commons) |
Das ist das vereinfachte Prinzip, welches tatsächlich angewendet wird, um Astronauten zu "wiegen". In der Realität sieht das ganze natürlich etwas komplizierter aus - das Grundprinzip ist allerdings wirklich so simpel wie oben beschrieben.
Astronaut Tom Marshburn im eingeschwungenen Zustand. Das Space Linear Acceleration Mass Measurement Device (SLAMMD) wird ihm später seine Masse verraten. (Credit: NASA) |
Wir wollen hier ja nur das grundlegende Funktionsprinzip dieses SLAMMD verstehen. Machen wir also weitere Näherungen (ja, Physiker machen das gerne!). Wir nehmen also an, dass die Waage an sich keine Masse hat, sondern nur der Astronaut, der sich an ihr festhält. Weiters vernachlässigen wir jede Art von Reibung. Diese Annahmen machen die Rechnungen viel einfacher, während sie ihre Grundaussagen für unsere Zwecke nicht verfälschen. (Unsere Ausgangsgleichung ist die des ungedämpften harmonischen Oszillators, falls das jemand interessiert.)
Eine mögliche Lösung dieser Oszillatorgleichung ist:
Das x(t) bedeutet nichts anderes als die Auslenkung aus der Ruhelage zu einer Zeit t. A ist einfach die Auslenkung aus der Ruhelage, wenn wir das Pendel zum ersten Mal "aufziehen". Der Kosinus lässt einen sofort erkennen, dass die Masse zu schwingen anfängt, wenn sie losgelassen wird. Wie schnell der Kosinus "schwingt", hängt von dem Wurzelausdruck in seinem Argument ab. In diesem steckt die Federkonstante k und die Masse m des Astronauten.
Die Details sind nicht sonderlich wichtig. Essentiell ist nur, dass wir alle vorkommenden Größen und Variablen kennen - alle, bis auf die Astronautenmasse m! Deshalb ist es möglich, durch Messen des Schwingungsverhaltens und durch Umformen der Gleichung die Masse des Astronauten zu bestimmen. Das ist nicht sonderlich schwierig, trotzdem macht es auf der ISS eine eigene Software auf einem Laptop.
Die Software zeichnet die x(t)-Kurve auf und bestimmt dann aus ihr die Astronautenmasse mit einer Genauigkeit von plusminus 230 Gramm. Je langsamer der Astronaut hin- und herschwingt, desto mehr Masse hat er. Dies sieht man ganz schön in der mathematischen Lösung, wo die Masse m im Nenner steht. Wird sie größer, wird gleichzeitig der Wurzelausdruck kleiner - und da der Wurzelausdruck für die (Eigen)Frequenz ω0 der Schwingung steht, wird auch die Schwingung "langsamer".
Dank Sir Isaac Newton können Astronauten auf der ISS also herausfinden, wie viel Süßigkeiten sie essen dürfen. (Credit: NASA, JAXA) |
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- Weitere Infos zum SLAMMD gibts hier.
- Ein bisschen Federpendelmathematik findet man z. B. auf Wikipedia.
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