Donnerstag, 26. Dezember 2013

Skipisten-Wissenschaft: Die Frage nach der Skibrillen-Farbe

Eben war Weihnachten, der Winter hat zumindest für diejenigen begonnen, die auf der Nordhalbkugel leben, viele haben Ferien. Und einige von euch wird es vermutlich auf die Skipisten ziehen!
SkifahrerInnen wissen, dass diverse Schutzkleidung (Helm etc.) ratsam ist. Insbesondere hilfreich beim Skifahren ist auch eine Skibrille - sie dient als Schutz vor gefährlicher Sonnenstrahlung, vor Wind und Schnee und zur Verbesserung der Umgebungswahrnehmung.
Doch welche Farbe der Skibrille sollte man wählen? Welche Tönung der Scheibe sieht am besten aus? - Tja, tatsächlich ist die Frage der Farbwahl keine Geschmackssache, sondern eine Frage der Physik und der Anatomie des menschlichen Auges.
Inwiefern können diese beiden Disziplinen beim Thema Skibrillen mitreden? - Darüber werde ich im Folgenden etwas erzählen.

Dieser Skifahrer trägt eine Skibrille.
Ob er sonst noch (Schutz-)Kleidung trägt, ist auf diesem Bild nicht zu erkennen, aber für den weiteren Verlauf des Artikels sowieso unerheblich.
(Quelle: http://www.photorack.net)


Warum und wie eine Skibrille Wind, Schnee, usw. von den Augen abhalten kann, ist relativ einsichtig und klar, denke ich. Viel interessanter werden die Überlegungen, wenn man sich zum Ziel setzt, dass eine Skibrille (neben Schutz vor schädlicher Sonnenstrahlung) auch die Wahrnehmung der Umgebung verbessern sollte. Mit Skibrillen sollte man im Schnee also irgendwie "besser sehen" können.

Um zu verstehen, wie dieses Ziel zu erreichen ist, könnten wir uns zuerst fragen, wie wir eigentlich unsere Umgebung wahrnehmen.

"Das ist einfach!", werdet ihr euch denken, "Das von der Umgebung reflektierte Licht trifft in unsere Augen, worauf wir irgendwie mit Hilfe unseres Gehirns ein Bild der Außenwelt erstellen." Und so ist das auch richtig: Licht, das von der Sonne kommt, wird an allem Möglichen gestreut, bevor es die Netzhaut in unseren Augen erreicht. Dort löst es verschiedene Reize aus, die in Form von elektrischen Signalen über den Sehnerv in die dahinter befindliche große Rechenmaschine - das Gehirn - gelangen, um zu etwas für uns Sinnvollem verarbeitet zu werden.
Man kann das Sonnenlicht in seine verschiedenen Wellenlängen aufspalten und sich ansehen, wie viel Licht für jede Wellenlänge auf der Erde ankommt. Dabei verändert die Atmosphäre die spektrale Zusammensetzung des Sonnenlichts deutlich, wie man in der folgenden Abbildung sieht (vgl. extraterrestrische und terrestrische Sonnenstrahlung).
Die extraterrestrische Sonnenstrahlung kann näherungsweise mit einem idealen schwarzen Strahler von 5900 Kelvin beschrieben werden.
Für unsere Überlegungen spielt allerdings nur das Spektrum der terrestrischen Strahlung eine Rolle, davon insbesondere der sichtbare Bereich des Lichts, der zwischen ultraviolettem (UV) und infrarotem (IR) Licht eingezeichnet ist.
(Credit: Degreen / Quilbert, via Wikimedia Commons)

Warum es vielerorts zu "Einschnitten" im terrestrischen Spektrum kommt, habe ich in schon einmal erklärt. (Dort könnt ihr auch nachlesen, wie man die chemische Zusammensetzung von fernen Sternen herausfinden kann.)


Wie bereits erwähnt, wird Sonnenlicht an allem Möglichen reflektiert - nicht nur an Gegenständen und am Boden, sondern auch an Teilchen in der Luft. Mit Hilfe des Modells der Rayleigh-Streuung kann man erklären, warum der Himmel blau ist: Die Luftmoleküle und "Luftteilchen" streuen blaues Licht stärker und öfter als z. B. rotes. Deshalb treffen stets blaue Lichtstrahlen auf unsere Netzhaut, egal in welche Himmelsrichtung wir blicken.
Es ist somit vergleichsweise viel blaues Licht in unserer Atmosphäre unterwegs. Das ändert sich auch kaum, wenn die Witterungsverhältnisse schlecht sind und der Boden mit Schnee bedeckt ist.
(Ich habe übrigens ein Paper namens "Optical Properties of Snow"[1] gefunden - da drinnen könnt ihr vermutlich alles über Skipisten-Licht nachlesen.)

Fürs Erste merken wir uns also:
Auf der Skipiste gibt es viel blaues Licht.
Auf der Skipiste gibt es viel blaues Licht!
Dass ich gerade hier ein so blaulastiges Foto eingefügt habe, ist natürlich reiner Zufall!
(Quelle: http://www.photorack.net)

Nun machen wir einen Abstecher in den Bereich der Anatomie des menschlichen Auges und versuchen, uns einen Eindruck von der Funktionsweise unseres Sehorgans zu verschaffen!


Auf unserer Netzhaut gibt es zwei verschiedene Arten von Sehzellen: Sie ist einerseits dicht bestückt mit den sog. Stäbchen, andererseits mit Zäpfchen. Die Stäbchen sind sehr empfindliche Photorezeptoren ("Nachtsehen") und vor allem für das Hell/Dunkel-Sehen verantwortlich. Die Zäpfchen unterteilen sich wiederum in drei verschiedene Typen, was im Endeffekt unsere Farbwahrnehmung ermöglicht: Es gibt die sog. "L"-, "M"- und "S"-Zapfen. Das "L" steht für "Large" und soll andeuten, dass das maximale Absorptionsvermögen dieser "L"-Zapfen bei grünlich-gelbem Licht (~560 nm Wellenlänge, langwelliges Licht) liegt. Die "Medium"-Zapfen können am besten Licht im gelblich-grünen Bereich (~530 nm) aufnehmen. Kurze Wellenlängen, also blaues Licht bei etwa 420 nm Wellenlänge, wird von den "Short"-Zapfen optimal absorbiert.
Der Verständlichkeit halber werde ich diese verschiedenen Zäpfchen ab jetzt etwas schlampig als "Rot-", "Grün-" und "Blau-Zapfen" bezeichnen. Die Farbe im Namen soll einfach andeuten, welches Licht bevorzugt von diesen Photorezeptoren absorbiert wird.

Im Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut ("Fovea centralis") ist die Zäpfchendichte am größten. In Richtung des Gesichtsfeldrands nimmt die Dichte der Zäpfchen ab. Bei den Stäbchen ist es hingegen umgekehrt: Am Rand ist die Stäbchendichte vergleichsweise hoch, während sie in Richtung Mitte abnimmt und in der Fovea centralis sogar fast gänzlich verschwindet.
(Wie bereits erwähnt sind die Stäbchen besonders helligkeitsempfindlich. Da im Bereich des schärfsten Sehens keine Stäbchen vorhanden sind, können wir z. B. schwach leuchtende Sterne nur (farblos) sehen, wenn wir etwas an ihnen vorbeischauen. Die Zäpfchen können zwar ganz gut Farben empfangen, jedoch sind sie nicht empfindlich genug, um schwache Lichtsignale zu registrieren.)

Mit Hilfe des folgenden Diagramms können wir nun erklären, wie es zu unserer Farbwahrnehmung kommt - es zeigt die jeweiligen Absorptionsvermögen der verschiedenen Zäpfchen.
Spektrale Absorptionskurven der "Blau-", "Grün-" und "Rot-Zapfen" und der Stäbchen (R).
Bei den Wellenlängen, an denen die Linien ihre höchsten Punkte haben, können die entsprechenden Photorezeptoren besonders gut Licht absorbieren und anschließend elektrische Signale (Rezeptorpotentiale) auslösen.
(Credit: Maxim Razin / DrBob / Zeimusu, via Wikimedia Commons)


Man sieht, dass die Bereiche der einzelnen Zäpfchen einander überlappen. Um dem Gehirn überhaupt erst zu ermöglichen, eindeutig zu bestimmen, welche Farben ins Auge treffen, ist es unbedingt notwendig, dass es verschiedene Typen von Photorezeptoren auf der Netzhaut gibt. Denn erst durch die "Analyse" von mindestens zwei verschiedenen Zapfentypen existiert die eindeutige Information über den Farbeindruck.

So weit, so gut... Allerdings gibt es noch einen weiteren Aspekt der Zäpfchenverteilung auf der Netzhaut, der für die Wahl der Skibrillenscheiben-Farbe erheblich ist: Im Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut gibt es wenig bis keine "Blau-Zapfen". (Warum das so ist, weiß ich leider auch nicht - da fragt ihr besser jemanden, der sich mit der Augenanatomie im Vergleich zu mir wirklich gut auskennt!)
Je unterschiedlicher nun das Signal der "Grün-" und der "Rot-Zapfen" in der Fovea centralis ist, desto größer ist der wahrgenommene Farbkontrast. Klingt einleuchtend, oder? Die "Grün-" und "Rot-Zapfen" sprechen allerdings auch ein bisschen auf blaues Licht an. Daher wird das Bild immer kontrastärmer, je mehr blaues Licht ins Auge gelangt.

Wir merken uns also zusätzlich zum ersten Merksatz:
Um den Farbkontrast im Bereich des scharfen Sehens zu erhöhen, muss man blaues Licht davon abhalten, ins Auge zu gelangen.

Und voilà - mit unseren zwei "Merksätzen" können wir die optimale Farbe für unser Skibrillen-Glas herausfinden:
Wenn wir den Farbkontrast der Umgebung erhöhen und verbessern wollen - das ist auf alle Fälle erstrebenswert beim Skifahren unter womöglich schlechten Witterungsverhältnissen -, müssen wir darauf achten, dass möglichst wenig blaues Licht ins Auge gelangt.
Gelangt überhaupt ein nennenswerter Teil von blauem Licht in unser Skifahrerauge? - Ja, definitiv! ("Merksatz" Nr. 1) Nun gut, wir müssen uns also tatsächlich einen Farbfilter vor die Augen schnallen!

Am häufigsten im Einsatz als Skibrillen sind sog. "Blue Attenuators", also "Blauabschwächer". Vermutlich hat jeder von euch schon mehrmals solche Blue Attenuators gesehen: Das sind ganz einfach die orangefarben-getönten Skibrillen! Diese bieten auch bei Schlechtwetter vergleichsweise guten Farbkontrast, sodass man die kleinen Variationen des von der Skipiste reflektierten Lichts wahrnehmen kann, was beim Skisport klarerweise essentiell ist.
Wir wissen nun, warum die meisten Skibrillen-Scheiben eine orange Farbe haben.
Im Bild sieht man eine Skifahrerin mit einem "Blue Attenuator". Auch wenn ein Blue Attenuator - genauso wie ein Blue Blocker - die Augen schützt, empfiehlt sich dennoch die Verwendung eines Skihelmes.
Üblicherweise werden Blue Attenuators allerdings einfach "Skibrillen" genannt.
(Quelle: http://www.photorack.net)


Übrigens schirmen die Blue Attenuators nicht das gesamte blaue Licht ab - sie sind also keine "Blue Blockers". Der Einsatz von Blue Blockers hat sich wiederum als unvorteilhaft herausgestellt, weil durch den fehlenden Blau-Anteil des Lichts das Peripherie-Sehen stark beeinträchtigt ist. (Denkt an die Verteilung der "Blau-Zapfen", wenn ihr wissen wollt, warum das so ist! ;-) )
Es gilt also, einen gewissen Kompromiss zwischen zu wenig und zu viel blauem Licht zu finden.

Die orangefarbenen Blue Attenuators eignen sich übrigens natürlich für gewisse Situationen nicht optimal. Daher gibt es für gewisse Einsatzbereiche unterschiedliche Skibrillen. Für die richtige Wahl der Skibrille spielen die Überlegungen in diesem Artikel allerdings stets eine wichtige Rolle.
Oft kommen auch polarisierende Brillengläser zum Einsatz. Die positiven Auswirkungen auf die Umgebungswahrnehmung des Skifahrers/der Skifahrerin halten sich aber meines Wissens in Grenzen.


In diesem Sinne wünsche ich euch vorerst einen schönen Winter und schöne, unfallfreie Skitage! :-)
Anscheinend waren in diesem Artikel noch zu wenig Skifahrer-Bilder...
(Quelle: http://www.photorack.net)




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[1] WARREN, SG. "Optical properties of snow." Rev. Geophys. Space Phys. 20 (1982): 67-89. APA

3 Kommentare:

  1. Hallo...vill. kann ich mit meinem Artikel noch etwas ergänzen. Darin behandel ich ebenfalls das Thema Skibrillen.

    http://www.sportprediger.de/sportausruestung/skibrillen/

    Beste Grüße,
    Stef

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  2. sehr ausführlicher Bericht! weiter so

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  3. Interessanter Bericht und meiner Meinung nach auch sehr guter Bericht. Gerade, das die Anatomie des Auges auch berücksichtigt und beschrieben wurde, hebt ihn doch deutlich von anderen hervor, Und zwar im positiven Sinne

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