Kennt ihr das, wenn einem irgendetwas oder irgendjemand die Sicht verstellt? Ihr seid bei einem Konzert, steht in der Menge und ärgert euch, weil ihr einfach nicht an eurem Vordermann vorbeischauen und nur selten einen längeren Blick auf die Lieblingssängerin auf der Bühne werfen könnt? Ihr wollt die Auslage eines Geschäfts auf der anderen Straßenseite betrachten, seht sie aber nicht, weil die Straßenbahn gerade davor hält? Ihr sitzt in einem Klassenzimmer oder Seminarraum und könnt einfach nicht lesen, was auf der Tafel steht, sondern nur den T-Shirt-Spruch des Kollegen in der ersten Reihe?
Der starke Gravitationslinseneffekt
Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zufolge verformt jede Masse die Raumzeit. Diese auch als (Raumzeit-)Krümmung bezeichnete Verformung ist bei unseren gewohnten, irdischen Massen so klein, dass man sie kaum bemerkt. Erst bei größeren Massen wird der Effekt deutlich: Massereiche Objekte, wie Neutronensterne, schwarze Löcher, Galaxien oder Galaxienhaufen krümmen Raum und Zeit unter Umständen so stark, dass die Auswirkungen dieser Raumzeitverformungen deutlich sichtbar werden.
Licht bewegt sich ja entlang der Raumzeit. Es kann gar nicht anders - auf gewisse Weise ist es (so wie wir alle) in der Raumzeit "eingesperrt" und auf sie beschränkt. Ist also die Raumzeit durch ein massereiches Objekt gekrümmt, so folgt "vorbeifliegendes" Licht einfach dieser Krümmung - und seine Bahn ist ebenfalls gekrümmt. Am besten kann man sich sowas immer vorstellen, wenn man es aufzeichnet - also voilà, hier ist ein Bild davon:
Schematisches Funktionsprinzip einer Gravitationslinse. (Credit: Horst Frank aus der deutschsprachigen Wikipedia) |
Wird einem die Sicht auf einen Stern oder eine Galaxie also von einem ausreichend massereichen Objekt verstellt, so kann es sein, dass man Abbildungen des eigentlich nicht sichtbaren Objekts neben dem "beugenden" Objekt sieht. In der obigen Skizze erkennt man als Erdbeobachter also das Raumzeit-krümmende "Objekt mit großer Masse" im Zentrum, während man darüber und darunter ein Bild des selben Hintergrundsterns ("Wellenquelle") sieht. Im dreidimensionalen Fall, wenn Beobachter, Gravitationslinse und Hintergrundstern perfekt auf einer Linie liegen, würde man den Hintergrundstern tatsächlich als Ring um die zentrale Galaxie sehen. Verrückt, oder?
Soweit die Theorie.
Nun stellt sich naturgemäß die Frage, ob man solche Gravitationslinseneffekte bereits tatsächlich beobachten konnte. Großartigerweise ja - es gibt viele Bilder von starken Gravitationslinseneffekten.
Ein ganz besonders eindrucksvolles ist z.B. das folgende, welches eine Hintergrundgalaxie als annähernd perfekten Ring darstellt. Eine solche Erscheinungsform wird übrigens weitläufig als Einstein-Ring bezeichnet.
Ein Einstein-Ring tritt nur dann auf, wenn die drei astronomischen Objekte schön aufgefädelt entlang einer Linie liegen und wenn die Gravitationslinse die Raumzeit in alle Richtungen gleich stark krümmt. Bei einem schwarzen Loch könnte man sagen, dass zumindest letzteres der Fall ist.
Simulation des Gravitationslinseneffekts bei einem schwarzen Loch. Ein schwarzes Loch zieht an einer im Hintergrund befindlichen Galaxie vorbei. (Erinnern euch die Bilder etwas an das schwarze Loch in Christopher Nolans Film "Interstellar"?) (Credit: Urbane Legend, via Wikimedia Commons) |
Sobald allerdings das "Beugungszentrum" nicht mehr aus einem gleichförmigen (isotropen) Objekt besteht, sondern z. B. einem ganzen Haufen von Galaxien, ist eine gleichförmige Abbildung à la Einstein-Ring nicht mehr möglich und das Objekt erscheint mehrfach abgebildet um das Zentralobjekt. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das sog. Einstein-Kreuz im Sternbild Pegasus.
Der schwache Gravitationslinseneffekt
Je weiter man von einer "beugenden" Masse - einer Gravitationslinse - wegschaut, desto schwächer werden die Raumzeit-Krümmungseffekte. Sind nun auch die drei Objekte (Erdbeobachter, Gravitationslinse und abzubildendes Hintergrundobjekt) nicht mehr schön entlang einer Linie angeordnet, so kann man sich leicht vorstellen, dass man anstelle von einem vollständigen Einstein-Ring nur mehr einen unvollständigen (einen kleinen Ringabschnitt) sieht. Hintergrundobjekte sind in diesem Fall nur noch etwas "ausgeschmiert" und mehrfache Abbildungen treten nicht mehr auf. Solche Gravitationslinseneffekte sind nicht mehr so einfach erkennbar und man muss sie mit Hilfe von statistischen Methoden finden.
Nichtsdestotrotz kann man durch Analyse dieser schwachen Gravitationslinseneffekte auf die "beugenden" Massezentren rückschließen und deren Materieverteilung bestimmen. Diese Methode wird u. a. angewendet, um größere Ansammlungen Dunkler Materie zu finden. Diese Dunkle Materie ist unsichtbar, da sie weder Licht absorbiert noch abstrahlt, krümmt allerdings sehr wohl die Raumzeit und wirkt somit gravitativ auf umliegende "normale" Materie. (Ich werde in einem meiner nächsten Artikel anhand einer beeindruckenden Aufnahme etwas mehr über Dunkle Materie erzählen.)
Es gibt sogar einige Bilder von riesigen vermuteten Ansammlungen Dunkler Materie, welche man durch Analyse der schwachen Gravitationslinseneffekte gefunden hat. Oftmals werden sie künstlich eingezeichnet, um sie für den Betrachter sichtbar zu machen. Hier ein Beispiel:
Mit dem folgenden Bild des Hubble-Weltraumteleskops möchte ich diesen Text nun abschließen. (Könnt ihr darin ein paar Gravitationslinseneffekte erkennen?)
Einer der massereichsten Galaxienhaufen: Abell 1689. Er wirkt wie eine kosmische Lupe mit dem Durchmesser von zwei Millionen Lichtjahren. |
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