Samstag, 5. Oktober 2013

Protonenkanonen in Wiener Neustadt - Oder: Warum MedAustron?

Aufgrund des medizinischen Fortschritts in unserer Gesellschaft und anderer Faktoren steigt die Lebenserwartung von Generation zu Generation. Momentan werden Menschen in Europa im Schnitt etwa 80 Jahre alt. Das ist einerseits angenehm, da ein langes Leben wohl in erster Linie auf den Wohlstand in unserer Gesellschaft zurückzuführen ist, andererseits werden unsere Körper mit zunehmendem Alter immer anfälliger für Krebs- oder Tumorerkrankungen und andere unangenehme Dinge. Die Forschung und den technologischen Fortschritt in vielen Bereichen (Medizin, Physik, Biologie, Chemie, usw.) machen wir uns zu Nutze, indem wir verschiedene Möglichkeiten entwickelten, um tumoröse Zellen in unseren Körpern loszuwerden. Es gibt verschiedene Ansätze, die meisten beinhalten allerdings den Einsatz von Strahlung, welche idealerweise Radikale erzeugt, die wiederum die Zerstörung von bösartigen Zellen zur Folge haben.

Solche Strahlung wird ionisierende Strahlung genannt. Sie kommt durchaus häufig in der Natur vor (Kosmische Strahlung, Radioaktivität, UV-Licht,...), allerdings ist auch ein erheblicher Teil unserer im Laufe des Lebens aufgenommenen Strahlung auf zivilisatorische Strahlungsquellen zurückzuführen (z. B. Strahlenbelastung durch Röntgenaufnahmen, radioaktives Material von früheren Kernwaffentests oder Nuklearunfällen, ...). Die durchschnittliche Jahresdosis für einen Menschen beträgt etwa 2,4 mSv (Millisievert) aus natürlichen Strahlungsquellen und 1,5 mSv aus zivilisatorischen. Etwa zwei Drittel unserer Strahlenbelastung kommen also aus Bereichen, wie z. B. der Röntgendiagnostik oder der Nuklearmedizin. (Wobei wir einen großen Teil dieser Art von Strahlenbelastung erst in den letzten Monaten vor dem Tod abbekommen.)

Doch wie kann man Tumore behandeln?
Im Jahr 2010 wurden in Österreich 36.733 Krebsneuerkrankungen dokumentiert - in 46,5 Prozent der Fälle war eine Therapie erfolgreich. (Quelle: Statistik Austria)
Obwohl die Therapien für gewisse Erkrankungen bereits äußerst erfolgreich sind, wäre es natürlich wünschenswert, diese Erfolgsrate auch allgemein steigern zu können.

Einen Schritt in diese Richtung stellt der Fortschritt auf dem Gebiet der Strahlentherapie mit Protonen oder Kohlenstoffionen dar.
Die Bestrahlung von tumorösen Zellen mit Protonen bzw. Kohlenstoffionen hat entscheidende Vorteile gegenüber der herkömmlichen Bestrahlung mit Photonen (Gammastrahlung, Röntgenstrahlung)!

Anhand der folgenden Grafik möchte ich die Unterschiede in der Wirkung der beiden Strahlungsarten kurz beschreiben.
Dosisverteilung verschiedener Strahlungen im Gewebe (Quelle: MedAustron)
Die horizontale Achse stellt räumliche Distanzen dar, während auf die vertikale Achse die Dosis der einfallenden Strahlung in Prozent abgegeben ist.
In unserem Fall haben wir einen Tumor, der sich etwa 10 cm unter der Haut befindet. Seine Ausdehnung ist wenige Zentimeter.
Das Ziel einer Strahlentherapie ist nun, möglichst viel ionisierende Strahlung auf den Tumor zu schießen, während das umliegende und gesunde Gewebe möglichst wenig Strahlung abbekommen soll. Wie man sieht, ist dies mit der herkömmlichen Bestrahlung durch Photonen (Gammastrahlen, Röntgenstrahlen) nicht zufriedenstellend bewältigbar: Die Dosis der Photonenstrahlung ist im vor dem Tumor liegenden, gesunden Gewebe viel höher als im tumorösen Gewebe selbst. (Die "Photonenlinie" erreicht im linken blauen Bereich deutlich höhere Dosiswerte als weiter rechts im Diagramm.) Natürlich kann man versuchen, den Tumor von vielen verschiedenen Seiten zu bestrahlen, sodass die umliegenden Organe etc. möglichst wenig Strahlung erfahren, jedoch ändert das nichts an der Tatsache, dass die ionisierende Strahlung jede Art von Gewebe stark belastet, das sich ihr "in den Weg stellt" - sowohl vor dem Tumor als auch nach ihm.
Nimmt man jedoch Protonen- oder Kohlenstoffionenstrahlung anstatt der herkömmlichen Photonenstrahlung, ergeben sich völlig andersartige Kurven im Diagramm. Das gesunde Gewebe vor dem Tumor bekommt im Vergleich zur Photonenstrahlung deutlich weniger Strahlungsdosis ab. Ein weiterer entscheidender Vorteil dieser relativ neuen Technologie ist außerdem, dass die Wirkung der Protonen- bzw. C-Ionenstrahlung nach einer gewissen Distanz praktisch verschwindet. (Im Diagramm sieht man ein abruptes Abfallen der Kurven bei etwa 125 mm!)
Liegt hinter dem Tumor also ein strahlungsempfindliches Organ, wie z. B. Gehirn, Rückenmark, Augen, Leber, Lunge, usw., so wird dies fast vollständig von der zerstörenden Strahlung geschützt. Es ist also möglich, den größten Teil der Strahlungsdosis genau auf das Gebiet des Tumors zu konzentrieren, während das umliegende Gewebe großteils verschont bleibt. Die Nebenwirkungen und die Effektivität dieser Therapie gehen damit immer mehr in Richtung unserer Wunschvorstellungen.

Ein derartig gelegener Tumor kann mit herkömmlichen Strahlentherapien oft nur wenig effektiv behandelt werden.
Bild: Meningioma, MRI T1 with contrast, sagittal
(Credit: Tdvorak)


In Wiener Neustadt (Österreich) wird nun ein neues Zentrum für Ionentherapie und Forschung namens MedAustron errichtet. In dieser Einrichtung soll die Bestrahlung von bösartigen Tumoren etc. mittels Protonen- und Kohlenstoffionenstrahlung routinemäßig ermöglicht werden.
Die Ionen werden in dieser Anlage in einem Linearbeschleuniger und einem Synchrotron beschleunigt, bevor sie mit Magneten zum gewünschten Ziel (medizinische Behandlung, Forschung, ...) dirigiert werden.

Einrichtungen, die sowohl Protonen- als auch C-Ionenstrahlenbehandlungen an einem Ort anbieten, gibt es bislang nur drei Mal weltweit.

Der Grundstein für MedAustron wurde 2011 gelegt, mittlerweile beschäftigt man sich bereits mit den Installationen des Teilchenbeschleunigers. Der technische Probebetrieb sowie die Installation der Medizintechnik erfolgen 2014. Und läuft alles nach Plan, wird 2015 der/die erste Patient/in behandelt. Ab dann sollen jährlich um die 1400 Patienten therapiert werden.

Für weitere Informationen über MedAustron empfehle ich die Homepage dieses Zentrums für Ionentherapie und Forschung.

Das Synchrotron (mit einem Durchmesser von 25 m) wird von einem Linearbeschleuniger gespeist. Für die Anlage werden bis zu 300 Magnete verschiedenen Typs verwendet.
Bild: Beschleunigeranlage (Quelle: MedAustron)


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