Samstag, 31. August 2013

Entwicklung der Quantenphysik IX: Der verblüffende Versuch (1/2)

Wir haben bisher besprochen, dass Licht aus einer Vielzahl von winzigen, unteilbaren Energiepaketen besteht, den sog. Lichtquanten oder Photonen. Diese Vorstellung war neu, denn Licht wurde zuvor großteils als Welle angesehen. Mindestens genauso spektakulär dürfte dann die Entdeckung gewesen sein, dass das, was man zuvor als "ganz normale" Teilchen angesehen hat, in der Tat Welleneigenschaften besitzt. So kann man Elektronen, die klassisch gesehen als Teilchen gelten, plötzlich durch Materiewellen beschreiben. Die Wellenlänge eines Elektrons heißt in diesem Fall de Broglie-Wellenlänge.
Etwas später lernte man, die Materiewelle eines "Teilchens" als Wahrscheinlichkeitsdichte-Funktion zu interpretieren. Das heißt, man kann nur mehr die Wahrscheinlichkeit kennen, mit der man ein "Teilchen" zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort findet. Zusätzlich folgt aus den bisherigen Annahmen, dass man z. B. Ort und Impuls eines "Teilchens" gleichzeitig nicht mit beliebiger Genauigkeit bestimmen kann. Die Tatsache, dass es für diese simultane Bestimmung eine fundamentale untere Grenze gibt, wird in der Heisenberg'schen Unbestimmtheitsrelation deutlich. Mit dieser Unbestimmtheitsrelation kann man auch die Stabilität der Atome erklären, wie ich im letzten Artikel zum Bohr'schen Atommodell bereits andeutete. Es gibt einen tiefsten Energiezustand für ein Elektron, das sich um den Atomkern bewegt - das Elektron kann also nicht in den Atomkern stürzen, wie man es aufgrund der Coulomb-Anziehung erwarten könnte.

Heute beschreibe ich ein berühmtes Experiment, das einen Großteil aller kuriosen Phänomene der Quantenphysik vereint: Das Doppelspaltexperiment.
Man kann wohl unzählige Bücher über dieses Experiment schreiben, doch ich werde versuchen, mich kurz zu halten und mich darauf zu beschränken, möglichst einfach zu erklären, was passiert, wenn man große Teilchen, kleine Teilchen und Lichtteilchen durch einen Doppelspalt schickt.

Der Doppelspaltversuch ist bei genauerer Betrachtung völlig kurios!

Alle anderen Artikel dieser Serie sind hier zu finden.


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Überlagert man (kohärente) Lichtwellen, so beobachtet man Interferenzerscheinungen. Die klassische Physik vermag dieses Phänomen nur zu erklären, wenn man das Licht als Welle beschreibt. Deshalb galt der Doppelspaltversuch lange Zeit als der beste "Beweis", dass Licht eine Welle sei und nicht aus Teilchen bestehe.


Was ist der Doppelspaltversuch eigentlich?

Naja, das ist einfach erklärt: Man schießt irgendetwas (in unserem Fall Licht) gegen einen Doppelspalt. Ein Doppelspalt sieht im Prinzip so aus:
Doppelspalt. Die schwarzen Flächen absorbieren Licht - es kann also nur durch die weißen Schlitze gehen.
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Doppelspalt.png)

Die schwarzen Flächen sind absorbierendes Material, während die weißen Linien Schlitze in diesem Material andeuten, durch welche das Licht hindurchgehen kann.
Schickt man Wellen (Lichtwellen, Wasserwellen, ...) durch den Doppelspalt, so entstehen dahinter Gebiete, in denen Wellenberg und Wellenberg (bzw. Wellental und Wellental) überlagert werden (konstruktive Interferenz) und ein Intensitätsmaximum bilden, und Gebiete, in denen Wellenberg und Wellental zusammentreffen, sich gegenseitig auslöschen (destruktive Interferenz) und ein Intensitätsminimum bilden.
Das könnte dann so aussehen:
Beugungsbild eines Doppelspaltes: Teilweise verstärken die Lichtwellen einander,
teilweise löschen sie einander völlig aus.
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Doppelspalt.Beugungsbild.png)

Wir schießen im Folgenden gedanklich drei verschiedene Dinge durch den Doppelspalt:
  • Makroskopische Teilchen
  • Licht und
  • Elektronen (erst im nächsten Artikel).


Makroskopische Teilchen

Mit einer Sprühpistole spritzen wir Farbe gegen den Doppelspalt. (Was für eine Farbe wir wählen, ist egal - ob ihr das jetzt glaubt oder nicht. ;-) Sucht euch irgendeine aus!) Dahinter befindet sich ein Blatt Papier, auf welchem die Farbe (Ich wähle rot!) haften bleibt.
Das folgende Bild zeigt, wie die Intensitätsverteilung (="Wie viel Farbe ist an welchen Stellen am Papier") hinter dem Doppelspalt aussieht:

Intesitätsverteilung für klassische Teilchen
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Slit_double_particles_left%26right.svg)
Die grauen Linien sind die Intensitäten der einzelnen Spalte - die rote Linie stellt die Summe dieser Einzelspalt-Intensitäten dar. Was man tatsächlich beobachtet, wenn beide Spalte gleichzeitig offen sind, ist eine Intensitätsverteilung gemäß der roten Linie.
Keine Spur von Interferenzerscheinung bei klassischen Teilchen!


Licht

Wir nehmen statt der Sprühpistole nun eine Lichtquelle. Außerdem verringern wir die Spaltbreite und den Spaltabstand, sodass diese Längen im Bereich der Wellenlänge des einfallenden Lichts liegen. (So funktioniert das Experiment am besten!)
Wenn man nur einen Spalt geöffnet hat, so beobachtet man eine Intensitätsverteilung wie bei klassischen Teilchen, wenn ebenfalls nur ein Spalt offen ist (siehe eine graue Linie aus dem oberen Bild). Das gilt für jeweils beide Spalte.
Sind jedoch beide Spalte gleichzeitig offen, passiert folgendes mit der Intensitätsverteilung (Huch!):
Intensitätsverteilung von Licht - beide Spalte offen
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Slit_double_57_8.svg)

Ein Interferenzmuster - typisch Welle!

Doch jetzt dimmen wir die Lichtquelle dermaßen ab, dass sie immer nur ein Photon nach dem anderen emittiert - und zwar auf solche Weise, dass zu jedem Zeitpunkt immer nur ein einziges Photon im experimentellen Aufbau ist.
Wir schicken jetzt also einzelne Lichtteilchen durch den Doppelspalt. Wird wieder ein Interferenzmuster entstehen (es handelt sich ja immer noch um Licht)? Oder kommt der teilchenartige Charakter dieses gedimmten Lichts zum Vorschein? (Teilchen können ja kein Interferenzmuster erzeugen, weil Interferenz ja nur dadurch entsteht, dass etwas vom einen Spalt mit etwas vom anderen Spalt wechselwirkt; Teilchen können allerdings immer nur durch einen einzigen Spalt gehen.)
Wir schicken unzählige Photonen nacheinander durch den Doppelspalt und halten ihre Auftreffpunkte auf einer dahinter befindlichen Photoplatte fest. Wir erhalten:
Einzelne Teilchen werden durch einen Doppelspalt geschickt - mit der Zeit bildet sich ein deutliches Interferenzmuster.
Teilchenzahl: 11 (a), 200 (b), 6000 (c), 40000 (d), 140000 (e).
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Double-slit_experiment_results_Tanamura_2.jpg)

Doch halt - hier haben wir doch einen Widerspruch, oder?!
Wenn nur jeweils einzelne Photonen durch den Doppelspalt gehen, können sie ja nur durch einen Spalt gehen. Denn würden sie durch beide Spalte gehen, müssten sie sich ja irgendwie teilen und das ist nicht möglich, da wir ja schon von den kleinsten, nicht weiter teilbaren Energieportionen des Lichts sprechen. Allerdings beobachten wir ganz deutlich ein Interferenzmuster, wenn wir viele Photonen "sammeln". Die Interferenz kann also nicht durch die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Photonen zustande kommen! Wie geht das?

Eine weitere Variation des Experiments liefert uns weitere Beobachtungen:
Wir schicken weiterhin nur einzelne Photonen durch den Doppelspalt. Doch diesmal halten wir abwechselnd einen Spalt zu, während der andere frei bleibt. Spalt 1 ist also periodisch "zu", "offen", "zu", "offen", "zu", ... Umgekehrt ist Spalt 2 "offen", "zu", "offen", "zu", "offen", ...
Nun verschwindet die Interferenz und wir erhalten wieder:
Periodisch wird abwechselnd ein Spalt freigegeben.
Die Intesitätsverteilung sieht analog zur Verteilung bei klassischen Teilchen aus.
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Slit_double_particles_left%26right.svg)
Die gesamte Intensität wird I = I1 + I2, also die Summe der Einzelspalt-Intensitäten - wie im klassischen Fall der makroskopischen Teilchen.
Wir sehen, dass es - wenn wir Interferenz erhalten wollen - notwendig ist, dass wir nicht angeben können, durch welchen der beiden Spalte das Photon gegangen ist. Wir können nur sagen, dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % durch den ersten Spalt und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % durch den zweiten Spalt gegangen ist.

Wenn man im Rahmen der klassischen Physik denkt (das machen wir im Alltag in der Regel), so sind diese experimentellen Ergebnisse völlig verwirrend.

Doch die Quantenmechanik hat eine völlig eindeutige Beschreibung für die Geschehnisse!
Wir beschreiben ein Photon durch eine Wellenfunktion ψ.
Diese Wellenfunktion setzt sich nur aus zwei Wellenfunktionen zusammen: ψ1 (das Photon ging durch Spalt 1) und ψ2 (es ging durch Spalt 2). Also: ψ = ψ1 + ψ2.
Wir wissen bereits, dass eine solche Wellenfunktion nur die Wahrscheinlichkeit angibt, das Photon an einem bestimmten Ort zu finden.

Die Wahrscheinlichkeit rechnet man sich aus, indem man das Absolutquadrat der Wellenfunktion bestimmt. (Warum das so ist, werde ich hier nicht erklären, tut mir leid!)

Wir wollen also wissen, wie die Wahrscheinlichkeiten, ein Photon zu finden, für verschiedene Orte auf der Photoplatte (bei x = D) verteilt sind:
|ψ(x=D, y)|2 = |ψ12|2 = |ψ1|2 + |ψ2|2 + ψ12 + ψ1ψ2*.

Die letzten beiden Terme (also die ohne Betragsstriche) sind für die Interferenz verantwortlich. (Die Sternchen bedeuten dabei "konjugiert-komplex", nur falls sich jemand gefragt hat.) Man kann das ganze übrigens umformen auf ψ12 + ψ1ψ2* = (A2/r2cos k(r1-r2). Was das genau bedeutet, ist nicht so wichtig - man sieht dabei aber sehr schön, dass die Intensität vom Winkel abhängt. (Das wird durch das "cos(...)", also durch den Kosinus, deutlich.) Das ist eine andere Art, um "es tritt Interferenz auf" zu sagen.

Wird ein Spalt verschlossen - z. B. Spalt 1 -, so ist ψ1 = 0 (die Wellenfunktion für einen verschlossenen Spalt ist Null). Damit ist auch ψ1* gleich Null und es tritt keine Interferenz auf, weil der winkelabhängige Teil ψ12 + ψ1ψ2* aus der Gleichung wegfällt.
Übrig bleibt in diesem Fall 12|2 = |ψ1|2 + |ψ2|2. Das ist gleichbedeutend mit dem klassischen Ergebnis I = I1 + I2.

Quantenmechanisch gesehen wandert die Wellenfunktion des Photons (die Funktion, nicht das Photon selbst!) durch beide Spalten und kann somit ein Interferenzmuster erzeugen. Diese von der Wellenfunktion erzeugte Interferenzmuster ist allerdings nicht das tatsächlich beobachtete, sondern es gibt nur an, wie die Wahrscheinlichkeiten, Photonen auf der Photoplatte zu finden, verteilt sind. Wo ein einzelnes Photon auftrifft, ist zufällig! Doch wenn man das Experiment oft genug wiederholt, indem man immer mehr Photonen auf durch den Doppelspalt schickt, wird das Interferenzmuster sichtbar, welches durch die Wahrscheinlichkeitsdichten bestimmt ist. Doch dazu später mehr!




Da dieser Artikel bereits jetzt wieder ziemlich lange geworden ist, werde ich die Elektronen im nächsten Teilt behandeln. Wie wir sehen werden, gibt es seltsamerweise große Analogien zur Beugung von Licht am Doppelspalt. Wir werden allerdings die Bedeutung von Information im Universum im Bezug auf dieses Experiment noch einmal verdeutlichen.



Zur Auflockerung noch ein Veritasium-Video, in welchem Derek den Young'schen Doppelspaltversuch unterhaltsam und außerordentlich anschaulich erklärt. (Und alle, die meine Artikelserie bis hierher verfolgt haben, wissen möglicherweise bereits die Antwort auf Dereks Frage ganz (!) am Ende des Videos.)



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