Freitag, 24. Mai 2013

Feynmans inverser Wassersprinkler - Die Auflösung

In einem Lehrbuch über Hydrodynamik gab es ein Problem, das von allen Physik-Studenten diskutiert wurde. Das Problem ist folgendes: Man hat einen S -förmigen Rasensprenger - eine S-förmige Röhre auf einem Drehzapfen -, und das Wasser spritzt im rechten Winkel zur Achse heraus und läßt diese in einer bestimmten Richtung rotieren. Jeder weiß, in welche Richtung der Rasensprenger sich dreht: er wird von dem austretenden Wasser zurückgetrieben. Die Frage ist nun: Angenommen, man hat (...) ein großes Becken mit Wasser (...) und man tut den Sprenger ganz unter Wasser und saugt Wasser ein, statt es hinauszuspritzen, in welche Richtung würde er sich drehen? Würde er sich in die gleiche Richtung drehen, in die er sich dreht, wenn man das Wasser in die Luft spritzt, oder würde er sich in die entgegengesetzte Richtung drehen? **
Mit diesen Worten beschreibt Richard P. Feynman in seinem Buch "Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!" das Problem des inversen Wassersprinklers.

Die Rotationsrichtung des S-förmigen Rohres ist wohl für die meisten klar. Das Problematische daran ist, dass für die einen eine Bewegung gegen den Uhrzeigersinn und für andere eine Bewegung im Uhrzeigersinn die richtige ist.

Feynman beschreibt zwei Argumente, die jeweils für eine Bewegungsrichtung sprechen:

Das eine Argument lautet: Wenn man das Wasser einsaugt, ist es so, als würde man das Wasser mit der Düse ziehen, so daß der Sprenger sich vorwärts bewegt, auf das einströmende Wasser zu. 
Aber dann kommt jemand anders vorbei und sagt: "Angenommen, wir halten den Sprenger fest und fragen, was für ein Drehmoment wir brauchen, um ihn festzuhalten. Für den Fall, daß das Wasser austritt, wissen wir alle, daß man ihn, wegen der Zentrifugalkraft des Wassers, das um die Biegung strömt, an der Außenseite der Biegung festhalten muß. Wenn das Wasser nun in entgegengesetzter Richtung um die gleiche Biegung strömt, übt es die gleiche Zentrifugalkraft auf die Außenseite der Biegung aus. Deshalb sind beide Fälle gleich, und der Sprenger wird sich in die gleiche Richtung drehen, ob man das Wasser ausspritzt oder einsaugt." **

Tja. Nachdem beide Sichtweisen ein komplementäres Ergebnis fordern, muss eine davon falsch sein. (Es könnte natürlich auch sein, dass beide falsch sind und die richtige Deutung ganz anders aussieht.) Feynman ging dafür in das Zyklotron-Labor der Princeton University, um Experimente zu diesem Problem durchzuführen. (Sie endeten mit dem Zerspringen des großen Glasgefäßes, in das er wohl zu viel Druckluft gepumpt hat.) Welche Bewegung des Sprinklers er allerdings dabei beobachtete, hat er verschwiegen.

Ich werde im folgenden ein Paper* von Alejandro Jenkins aus dem Jahr 2003 zusammenfassen, das den Titel "An elementary treatment of the reverse sprinkler" trägt und sich eben genau unserem Problem annimmt.
Es ist faszinierend, welche Faktoren bei der Erklärung dieser physikalischen Situation miteinbezogen werden (müssen), um anschließend zu einer etwas unerwarteten Vorhersage für das Experiment zu gelangen.


*  *  *


Um uns das Leben einfacher zu machen, werden wir anstatt der von Feynman beschriebenen S-Form des Rohres ein L-förmiges verwendet. Denn das Problem des inversen Wassersprinklers ist von der Form des Rohres unabhängig!
Im folgenden Bild sieht man unseren L-förmigen Sprinkler von oben. Um unseren Gedankengang anständig zu entwickeln, ist das Rohr vorerst zugestopft - es kann also noch kein Wasser einfließen.
Der geschlossene L-förmige Sprinkler im Wassertank aus der Sicht von oben.
Alle Kräfte und Drehmomente um die Drehachse ("pivot") gleichen einander aus.

Der Druck ist auf allen (gegenüberliegenden Seiten) des Sprinklers gleich. Es bleibt also keine Netto-Kraft übrig. Physikalisch gesprochen: Um die Drehachse ("pivot") gibt's kein Drehmoment.
Nun öffnen wir das Rohr an unserer gewünschten Stelle. Das sieht dann so aus:
Der Sprinkler ist nun geöffnet.
Wenn das Wasser hineinfließt, gilt für die Drücke P1 und P2: P1 > P2.

Wird das Wasser bei der Drehachse abgesaugt, so entsteht nun ein Unterdruck im Rohr - das Wasser vom Tank strömt ein. Für solche Situationen kann man sagen, dass Wasser generell immer von Gebieten mit höherem Druck in Gebiete mit niedrigerem Druck strömt. Aus der Beobachtung, dass Wasser in das Rohr fließt, können wir also schließen, dass der Druck P2 kleiner als der Druck P1 ist - denn sonst würde sich nichts bewegen.
Mooment! - Wenn P2 kleiner als P1 ist, so gibt es ja tatsächlich einen Druckunterschied (und folglich eine Netto-Kraft), die das Rohr im Uhrzeigersinn dreht.
Das stimmt. Doch wir haben noch nicht berücksichtigt, dass das Wasser, das nach links ins Rohr strömt, trotz niedrigerem Druck einen Impuls (nach links) mit sich bringt, den es an die Innenwand des Rohres abgibt. Die Kraft dieses Impulsübertrags zeigt nach links und würde den Sprinkler gegen den Uhrzeigersinn bewegen.

Wir haben nun also zwei Kräfte, die in die entgegengesetzte Richtung zeigen. Welche Kraft ist stärker? In welche Richtung zeigt also die resultierende Netto-Kraft? Mit dieser Frage werden wir uns nun beschäftigen.

Man kann durch ziemlich einfache Rechnungen (die ich allerdings trotzdem nicht anführen werde - im ganzen Artikel werde ich übrigens ohne Rechnungen und Gleichungen auskommen!) zeigen, dass die Kraft, die durch den Druckunterschied (P1-P2) entsteht, gleich groß ist wie die Kraft, die aufgrund des Impulsübertrags des Wassers auf die Innenwände des Rohres entsteht.

Die Schlussfolgerung daraus ist also, dass die Kräfte einander exakt ausgleichen und sich das Rohr überhaupt nicht bewegt.
Tatsächlich findet man allerdings, dass sich ein inverser Wassersprinkler im Experiment sehr wohl bewegt.
Was ist passiert? Hat die Physik versagt? - Glücklicherweise nicht! Wir haben uns das Leben nur etwas zu leicht gemacht: Wir haben nicht beschrieben, was ganz am Anfang geschieht, wenn das Wasser erstmals in das Rohr strömt, sondern nur den "steady state" (den Zustand, an dem sich das System bereits "eingependelt" hat). Außerdem sind wir von einem idealen Versuchsaufbau ausgegangen, indem wir jede Art von Reibung vernachlässigt haben. Diese Dinge berücksichtigend werden wir uns der richtigen Erklärung annähern.

(Übrigens: Warum kann man nicht analog argumentieren und "zeigen", dass sich ein normaler Sprinkler, bei dem das Wasser aus dem L-förmigen Rohr strömt, sich aus den gleichen Gründen nicht bewegt? - Ganz einfach: Wenn das Wasser im L-förmigen Rohr nach außen strömt, überträgt es einen Impuls auf die obere Innenwand. Die wirkende Kraft ist zwar ungleich Null, doch sie bewirkt kein Drehmoment um die Drehachse. Der Druckunterschied zwischen Rohr und Wassertank besteht allerdings immer noch, sodass sich der Sprinkler wie gewohnt bewegt.)


Beim normalen Wassersprinkler gilt offensichtlich die Erhaltung des Drehimpulses: Vor dem Einschalten der Wasserquelle ist der Drehimpuls des Systems um die Drehachse gleich Null. Also muss er auch bei laufendem Wasser Null sein! (Die Erhaltung des Drehimpulses ist ein Naturgesetz.) Das ist offensichtlich der Fall, denn das Wasser, das aus den Düsen spritzt, verursacht einen Drehimpuls um die Achse, der durch die entgegengesetzte Drehung des Rohres ausgeglichen wird.
Doch was ist da beim inversen Sprinkler los? Wir haben festgestellt, dass das einfließende Wasser einen Impuls nach links mit sich bringt (und somit einen Drehimpuls um die Achse verursacht). Wo kommt der plötzlich her? Zuvor war der Gesamtdrehimpuls ja gleich Null. Haben wir ein Beispiel für eine Verletzung der Impulserhaltung gefunden, und können wir das vielleicht irgendwie nutzen, um endlich Laserschwerter zu bauen? ;-)
...nein. Wir haben nämlich nicht darauf geschaut, was mit dem Wassertank an sich passiert. Dieser Bewegt sich, wenn das Wasser in das Rohr fließt. Man kann sich den Tank für einen kurzen Augenblick vorstellen wie einen aufgehängten Behälter mit einem Loch: Strömt Wasser aus dem Loch am Boden, so wird sich dieser gegen die Strömungsrichtung bewegen und dafür sorgen, dass die Impulserhaltung gilt.
Wasser strömt aus einem Loch in einem Tank.
Der Tank bewegt sich dabei etwas nach rechts,
um die nach links gerichteten entstandenen Impulse des
Wassers auszugleichen.
Wenn das Wasser im inversen Sprinkler anfangs nach links in das Rohr strömt, übt die rechte Wand des Tank eine Kraft aus, die dadurch ausgeglichen wird, indem sich der Tank etwas nach rechts bewegt.
Die rechte Wand übt eine Kraft auf das Wasser aus, damit es in das Rohr fließen kann.

Sobald das Wasser die Innenwand des Rohres erreicht, gibt gibt es diese Kraft wieder an den Tank ab und ab diesem Zeitpunkt heben die Kräfte einander wieder auf. Was übrig bleibt, ist die Kraft, die in dem Zeitintervall wirkte, als das Wasser von der Rohröffnung bis zur linken Innenwand des Rohres strömte.
Die Situation lässt sich anschaulich beschreiben durch jene (fiktive), wenn man auf einem Schiff Gewehrkugeln auf eine Wand des Schiffes abfeuert. Dazu habe ich früher einen Artikel geschrieben. Falls genügend Interesse besteht, wäre es wohl jetzt der beste Zeitpunkt, um diesen zu lesen, denn die Überlegungen in jenem Artikel tragen sehr zum Verständnis von diesem hier bei.

Während dem Einfließen des Wassers in das Rohr des (idealen) inversen Sprinklers wächst der Drehimpuls des Rohres um die Drehachse an. Sobald das Rohr mit Wasser gefüllt ist, bleibt der Drehimpuls konstant und es stoppt wieder vollständig, sobald der Wasserfluss angehalten wird.

Dieser Effekt kann allerdings schwierig im Experiment zu beobachten sein, denn die Reibung der Lagerung des Sprinklers und die Reibung im Wasser aufgrund der Viskosität sind leicht einmal zu groß, um eine Bewegung des Sprinklers zuzulassen.

Und da kommen wir schon zum nächsten Aspekt unseres Problems: Wir sind bisher von idealen Verhältnissen ausgegangen und haben vorausgesetzt, dass sich das Rohr reibungsfrei drehen kann und auch innerhalb des Wassers keine Reibungseffekte vorhanden sind.
Das entspricht natürlich nicht der Realität! Man kann einen Sprinkler nicht reibungsfrei lagern und das Wasser ist in der Natur keine ideale Flüssigkeit (d. h. es tritt im Wasser innere Reibung auf - man spricht hierbei von Viskosität).

Was sagen wir also für das Experiment unter realistischen Verhältnissen voraus?
Viskosität, Verwirbelungen im Wasser etc. "verschlucken" Energie. Deshalb erlangt eine nicht-ideale Flüssigkeit (wie z. B. unser Wasser) beim Einfließen in das Sprinklerrohr weniger Impuls als wir durch unsere vorherigen Überlegungen erwartet hätten. Aus diesem Grund überwiegt der Effekt des Druckunterschieds. Das führt dazu, dass tatsächlich ein kleines Drehmoment auf den Sprinkler wirkt, wodurch sich das Rohr im Uhrzeigersinn drehen möchte! Die Kräfte heben sich auch dann nicht mehr vollständig auf, wenn das Wasser gegen die Innenseite des Rohres gedrückt wird, weil eben ein Teil der Impulsenergie in andere Energie umgewandelt wird (durch Reibungseffekte etc.)! Übrig bleibt also ein nichtverschwindendes Drehmoment.
(Die Drehimpulserhaltung gilt aber nach wie vor, denn letztenendes wird der "fehlende" Impuls wieder über das umgebende Wasser an den Tank selbst abgegeben.)


Zusammenfassung:
Wir haben durch im Grunde recht einfache Überlegungen festgestellt, dass sich der inverse Sprinkler unter Idealbedingungen kein Drehmoment erfährt, wenn der Wasserfluss im ganzen Rohr konstant ist. Während dem Einschaltvorgang erhält das Rohr jedoch einen Drehimpuls, den es auch bei konstantem Fluss weiterhin behält, jedoch wieder vollständig verliert, wenn der Wasserfluss gestoppt wird.
Das heißt: Ich schalte den inversen Sprinkler ein, worauf das Rohr langsam im Uhrzeigersinn zu rotieren beginnt (das ist in unserem Beispiel die gegenläufige Richtung verglichen mit dem normalen Sprinkler). Nach kurzer Zeit dreht es sich mit konstanter Geschwindigkeit. Sobald ich den Sprinkler abschalte, bremst das Rohr wieder ab, bis es schließlich wieder vollständig anhält.
Durch (realistische) Effekte, wie z. B. Viskosität und Verwirbelungen, erfährt der Sprinkler die ganze Zeit über ein Drehmoment in die entgegengesetzt Richtung des einfließenden Wassers. Der Sprinkler wird somit immer weiter (im Uhrzeigersinn) beschleunigen.



Falls jemand noch weiter interessiert ist, empfehle ich noch einmal das Paper von Alejandro Jenkins mit dem Titel "An elementary treatment of the reverse sprinkler", welches das Problem des inversen Sprinklers auf dem gleichen Niveau sehr schön erkärt und gleichzeitig auch einen geschichtlichen Überblick über das Thema und all den damit verbundenen Verwirrungen gibt. (Beim arXiv-Link einfach im rechten Downloadbereich das PDF herunterladen.)
Alle hier verwendeten Abbildungen entspringen dieser Publikation.

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Alejandro Jenkins (2004). "An elementary treatment of the reverse sprinkler". arXiv:physics/0312087. Bibcode:2004AmJPh..72.1276J. doi:10.1119/1.1761063.




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* Alejandro Jenkins (2004). "An elementary treatment of the reverse sprinkler". American Journal of Physics 72 (10): 1276–1282. arXiv:physics/0312087. Bibcode:2004AmJPh..72.1276J. doi:10.1119/1.1761063.
** aus: R. P. Feynman, "Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!" (Norton, New York, NY, 1985), S 83-84.

2 Kommentare:

  1. Ich habe mir eigentlich noch nie Gedanken gemacht, warum der Sprinkler rotiert. Und dann auch noch Gedanken über einen inversen Sprinkler. Sachen gibts ;) Das einzige was ich sehe wenn ich im Urlaub bin, ist dass bei allen Ferienhäuser die Sprinkler laufen und schöne kleine Regenbögen erzeugen :)
    Aber auf alle Fälle ein interessanter Ansatz. Haben wir wieder was gelernt.

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    1. Haha, das kenne ich - man liest irgendetwas über physikalische Versuche oder Phänomene und denkt dabei "Ich weiß ja nicht einmal, was ich alles nicht weiß". ;-)
      Danke jedenfalls für den Kommentar! Freut mich, wenn der Artikel gefiel!

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